Interaktiv

15 Jahre YouTube | Das Videophänomen anhand von fünf Grafiken erklärt

Von Michael Sommer und Markus Zottler
D

as Coole an diesen Typen ist, dass sie diesen echt langen Rüssel haben.“ Schon das Erstlingswerk, das Ur-Video, aufgenommen 2005 von YouTube-Mitgründer Jawed Karim mitten im Zoo, versprüht jene Banalität, die zum großen Erfolgsrezept wird. Früh gilt YouTube als El Dorado für Amateurfilmer, bereits ein Jahr nach der Gründung kauft Google das aufstrebende Portal um 1,65 Milliarden Dollar (damals 1,3 Milliarden Euro). Ein Schnäppchen, wie man heute weiß, und festgezurrt nach nur 72 Stunden Verhandlung.

72 Stunden, aufgeteilt auf ein langes Wochenende, die die Welt der Medien nachhaltig verändern sollten. Mit der enormen Schlagkraft Googles im Rücken wird YouTube in gerade einmal 15 Jahren zu einem Werkzeug der Massen und vielerorts zu einem Synonym für Bewegtbild.

Allein seit sie diesen Artikel lesen, wurden über 0 an Videomaterial auf Youtube hochgeladen.

01

Immer größer, immer weiter

Mit der Gründung YouTubes – am 14. Februar 2005 wird die Domain YouTube.com aktiviert – beginnt eine neue Zeitrechnung. Die spezielle Form des Bewegtbilds, später sprachlich kultiviert durch den Ausdruck des „YouTubers“, bekommt zusätzliches Fundament, als das erste iPhone im Jahr 2007 den Siegeszug des Smartphones einläutet.

Im März 2013 kann YouTube zum ersten Mal eine Milliarde monatlich aktive Nutzer verzeichnen. Mittlerweile hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt.

„Was YouTube so erfolgreich macht, ist, dass man sich viel besser mit den Leuten identifizieren kann als mit denen im Fernsehen.“

PewDiePie gilt als einer der ganz großen YouTube-Stars, seine Beschreibung des Erfolgs von YouTube scheint am Punkt.

Der Schwede ist einer, der aus der Ecke der Gamer kam, mit Let’s-Play-Videos bekannt wurde, via YouTube viel Geld verdiente und sich später aber auch mit rassistischen und antisemitischen Aussagen ins Abseits stellte. 2020 will er keine neuen Videos veröffentlichen, ließ er jüngst wissen. PewDiePie, der mit bürgerlichem Namen Felix Kjellberg heißt, brauche eine Pause. Er sei „sehr müde“, ließ er in einem Video wissen.

02

Geliebte und gehasste Videos

Der südkoreanische Kult-Rapper Psy war es, der 2012 eine weitere statistische Duftmarke setzt. Sein „Gangnam Style“ überspringt als erstes Video die Marke von einer Milliarde Zugriffe. Heute amüsiert der Wert. Spitzenreiter „Despacito“ liegt jenseits der 6,6 Milliarden Views, auch zahlreiche andere Videos gelten als Milliardenschlager.

Musik-Labels und Künstler haben die Kraft der weltweit zweitgrößten Suchmaschine nach Google freilich längst erkannt. Ihre Videos sind es auch, die die Zugriffscharts dominieren. Dazu (un)passend: „Masha and The Bear – Recipe for disaster (Episode 17)“ ist unter den meistbetrachteten das erste Video, das kein Musikvideo ist und kommt auf knapp vier Milliarden Aufrufe.

Thomas Golsers Youtube-Glosse

Was machst du aus uns, Röhre?

Ob unser Menschendasein vor 2005 unvollständig(er) war? Ziemlich sicher nicht. Auf Youtube verzichten wird der Homo digitalis trotzdem nicht mehr.


Von Thomas Golser

Sie sickerten in unser ohnehin schon hochgetaktetes Leben, bedienen uns digitale Dauerkonsumenten und wurden zum allzeit verfügbaren Angebot des 21. Jahrhunderts: die virtuellen Werkzeuge Google und Wikipedia. Und natürlich der Marianengraben der Bewegtbilder: Youtube.

400 Stunden neues Videomaterial werden dort hochgeladen. Jede Minute. Das schiere Angebot, das auf Youtube verfügbar ist, kann beglücken, es muss Angst machen und ja, es darf einen auch ungeschaut kalt lassen. Da ist das Angesagte, das man gesehen haben muss (muss man?), da ist das Unsägliche, das man nicht anschauen will – und Myriaden von Clips dazwischen, aus denen sich fast jeder etwas herausholen kann.

Youtube ist einfach da – so wie die Wendung: „Ist eh schon auf Yotube!“ Ein gewissermaßen maximal öffentlicher Raum, den – abgesehen von Ländern strikter Zensur – jeder besuchen und fast jeder beliefern kann. Längst dem Großteil der Menschheit ein Begriff, die hehre Selbstbeschreibung lautet: „Die Mission ist es, allen eine Stimme zu geben und ihnen die Welt zu zeigen.“ Freilich ist es nicht die Welt. Am Ende sind es Weltansichten unzähliger Filialexistenzen – eben so, wie sie User hochgeladen haben. Information, Zerstreuung, Unterhaltung, Denunzierung, Nonsens – alles drängt aus diesem Bauchladen.

Natürlich, nach 15 Jahren fällt es – wie bei vielen anderen Dingen – schwer, sich die Zeit „davor“ vorzustellen. Ob das Menschendasein vor dem 23. April 2005, als das erste (und völlig belanglose) Video auf Youtube hochgeladen wurde, unvollständiger war? Mit relativer Sicherheit nicht. Mit ziemlicher Gewissheit lässt sich aber auch sagen, dass Youtube als Begleiter bleiben wird – trotz berechtigter Vorbehalte, was viele Inhalte anbelangt. Was und ob man etwas damit anfangen kann und will, liegt in der Hand des Anwenders. Und das echte Leben immer noch vor der Tür.

Selbst, was negative Bewertungen betrifft, wie unten stehende Grafik zeigt, spielen Musik-Videos eine große Rolle. Im Gegensatz zu Facebook setzt YouTube ja auch auf einen „Dislike“-Button.

„Dislike-Mobs“ nennen sich auf YouTube Gruppen, die oft grundlos ein Video auf der Plattform negativ bewerten. Nicht der Beitrag, das Video, als solches stehen im Zentrum der Ablehnung, sondern meist persönliche Ressentiments gegen Protagonisten oder Unternehmen. Speziell im Gaming-Segment sind derlei Mobs häufig anzutreffen.

YouTube will dagegen nun vorgehen und überlegt, Nutzer fortan bei negativen Bewertungen zumindest eine Begründung abzuringen. Dennoch will man am Dislike-Button vorerst festhalten.

03

YouTube in Österreich

YouTube ist freilich längst auch in Österreich groß, dass RedBull die heimischen Marken auf dem Portal anführt, überrascht kaum. Das Unternehmen bietet mit zumeist spektakulären Sportvideos Stoff, der auf YouTube besonders gut funktioniert.

Wie relevant YouTube in Österreich mittlerweile tatsächlich ist, lässt sich auch anhand des Digital News Report aus dem Jahr 2018 ganz gut ablesen. Diesem zufolge verwenden 66 Prozent der österreichischen Internetnutzer YouTube, Facebook liegt bei 63 Prozent. Bei den Jüngeren ist YouTube ohnehin eine Macht: Unter den 18- bis 24-Jährigen gehört der Dienst bei acht von zehn Personen zum täglichen Leben.

Wofür sich die Österreicher auf YouTube besonders interessieren? Nun, auch das überrascht kaum. Wie quasi überall liegt der Bereich Unterhaltung uneinholbar in Front. Erst danach kommen die beiden weiteren YouTube-Erfolgsgaranten Spiele und Stylingtipps.

„Was man vielleicht nicht erwartet hätte: Österreichs Bauern sind stark auf YouTube vertreten.“

Zu diesem Befund kommt der von Ingrid Brodnig herausgegebene „Digitalreport: YouTube in Österreich“ – übrigens auch eine fantastische Fundquelle für YouTube-Statistiken aller Art. Tatsächlich zählt etwa der YouTube-Account der Fachzeitschrift „Landwirt“ zu den erfolgreichsten, Test-Berichte von gewissen Traktoren sprengen schnell die Millionengrenze.

Die Digitalreport-Analyse zur politischen YouTube-Landkarte Österreichs? „Gerade rechte Accounts stechen hervor“. Und: „Das linke und das liberale Lager haben kein derartiges Netzwerk errichtet.“

04

Ein gigantisches Geschäft

15 Jahre nach der Gründung ist YouTube ein relevanter Faktor im Alltagsleben vieler Menschen. Was damit direkt zusammenhängt: Das Segment gilt auch als besonders wichtiger Umsatzbringer für Google und Konzernmutter Alphabet.

Heuer wurden erstmals explizite Geschäftszahlen für YouTube bekannt gegeben. Und die haben es in sich: Alleine 2019 sorgte der Videodienst für Werbeerlöse in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar.

„Werbung ist aus vielerlei Sicht sehr einfach. Werber gehen dort hin, wo die Nutzer hingehen. Und Nutzer entscheiden sich, viel mehr Zeit online zu verbringen.“

So beschreibt YouTube-CEO Susan Wojcicki recht unverblümt die Grundlage des Geschäftsmodells von YouTube. Prognosen, wonach dieses bald erodieren könnte, findet man zurzeit de facto gar nicht.

YouTube beteiligt die Videokünstler heute an den erzielten Werbeerlösen. Nach welchem Schlüssel dies geschieht? Nun, das ist gar nicht so einfach, wie Kollege Hannes Gaisch-Faustmann recherchiert hat.

Seine Kurzzusammenfassung: Die Honorare reichen von weniger als 100 bis zu zigtausenden Dollar je Video – dabei spielen Reichweite und Zugriffe eine wesentliche Rolle, aber bei Weitem nicht nur. Abhängig davon, wie lange Nutzer die Werbung in den Clips gesehen haben, wie alt sie sind und wo sie leben, werden Raten berechnet, von denen Google 45 Prozent einbehält. Faustregel: 1000 Aufrufe bringen einem YouTuber 1 Euro.

05

Der Kampf gegen den Hass

Mit dem rasanten Wachstum verliert YouTube das harmlose Antlitz der Anfangsjahre. Nicht nur Stylingtipps, Angelvideos oder Musik-Cover kommen zu hohen Reichweiten, auch Selbstmord-Aufnahmen, Videos mit Holocaust-Leugnungen oder pädophilen Inhalten schaffen es weltweit in die Wohnzimmer der Nutzer.

Mit Algorithmen versucht YouTube nun Herr über den Hass zu werden – 2019 werden alleine im zweiten Quartal 100.000 Videos und 500 Millionen Kommentare mit „Hate-Speech-Inhalten“ gelöscht.

Das Einschreiten scheint alternativlos, YouTubes Verantwortung ist heute riesig und wird auf absehbare Zeit nicht abnehmen.