Unsere Redakteurinnen und Redakteure entführen Sie zu ihren persönlichen Sehnsuchtsorten und öffnen die Schatzkiste ihrer schönsten Sommer-Erinnerungen.
54.

Bei Städtereisen halte ich es mit Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“: „Alle Städte sind gleich, nur Venedig is e bissele anders.“ Nur dass ich Venedig durch Rom ersetze. Als ich vor 40 Jahren das erste Mal meinen Fuß auf römischen Boden setzte, war ich nur auf der Durchreise. Ein Vierteljahrhundert später kam alles ganz anders, das Rom-Fieber packte mich. Auf die Klassiker wie Forum Romanum, Kolosseum oder Pantheon folgten Plätze, Gassen und Kuriositäten auf den Spuren der unvergleichlichen Autoren Herbert Rosendorfer und Marco Lodoli. Der Journalist Erich Kusch hat einmal gesagt: „Rom ist schmutzig, überbevölkert, unregierbar, lebensgefährlich, der Verkehr bricht zusammen, die Infrastruktur kollabiert, die Giftkonzentration in der Luft ist unerträglich, die sozialen Probleme sind unlösbar geworden, die Zerstörung durch Umweltschäden und Korruption übersteigen die tolerierbaren Werte – und Rom ist die schönste Stadt der Welt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Von Ulf Tomaschek

53.

Als Kind geriet ich immer im Frühjahr in hellste Aufregung, wenn die Angebote für die Ferienlager der Evangelischen Jugend herein flatterten und Burg Finstergrün als mögliches Ziel anpriesen. Das hieß, im Sommer standen wieder pure Abenteuerlust und Unabhängigkeit bevor. Zwei Wochen mit Freunden zwischen dicken Burgmauern, in geheimen Wehrgängen, Lieder singen vor dem großen Kamin im Rittersaal oder beim Lagerfeuer auf der Wiese. Dieser einzigartige Geruch, den nur alte Mauern verströmen, die vielen spannenden Details, die man jedes Jahr auf der Schnitzeljagd wieder auf der Burg entdecken konnte und natürlich nicht zuletzt die Geisterstunde, wo man von Burggeist Finsterling inspiriert, mit Taschenlampen in andere Zimmer oder den Burghof schlich – immer im Spannungsfeld zwischen nicht ertappt werden und sich selbst auch ein bisschen gruseln. Die Begeisterung für Burgen ist geblieben, nur eine „Naschkammer“ haben leider nicht alle.

Von Nora Kanzler

52.

Der letzte Wochentag der Ferien war der Abschied von großen Abenteuern, Reisen, Erkundungen – die letzten entliehen Bücher waren in die Stadtbibliothek zurückzubringen, die jedes Jahr das famose Trampolin in die schulfreien Sommerwochen geworden war.

In den hohen Räumen der Bibliothek mit Tausenden Büchern, es durfte dort nur geflüstert werden, um andere nicht zu stören, umfing einen der zarte Hauch von Papier und sorgsam in Leinen gebundener Druckwerke. Es war der Duft der großen weiten Welt, die sich hier auftat mit seinem Lesefutter, man verreiste mit Mira Lobe, mit Otfried Preußler, Daniel Defoe, Mark Twain und vielen anderen. Was für eine Wunderwelt für einen Buben in der kleinen Stadt Leoben. Wohl wurde unter dem Jahr gelesen, doch nicht in dieser Intensität. So blieben Bücherberge mit Ferien verbunden. Bis heute sind Bibliotheken überhaupt ein Ort der Sehnsucht. Besonders aber im Sommer, wenn Papier duftet.

Von Christian Weniger

51.

Es war die Taverne von Stella und Glavkos, also Herzlichkeit und Gastfreundschaft so üppig wie Baklava. Samos Mitte der 80er-Jahre. Näher am Meer kann man nicht sitzen. Köstlicher als bei Stella schmeckt keine Fischsuppe. Die Zimmer? Sehr bescheiden. Das Jahr über von Familienmitgliedern bewohnt. Ab dem Frühsommer von Touristen. Auch von der fröhlichen Runde junger Leute aus Kärnten. Immer wieder. Fließwasser, Dusche? Draußen, hinter der Strohmatte unter dem Olivenbaum. Psili Ammos: Der Strand wurde seinem Namen gerecht. Weißer, feiner Sand. Am Abend, wenn der letzte Linienbus mit den Touristen in Richtung Hotels weg war, gehörte die Taverne den Griechen – und uns. Sirtakitanzen mit Stella, unzählige zerbrochene Teller inklusive.

Irgendwann wurde nebenan ein Appartementhaus gebaut. Mittlerweile auch ein Hotel? Ich will es nicht wissen. Psili Ammos soll urig bleiben. Zumindest in meiner Erinnerung.

Von Andrea Bergmann

50.

Ich glaube, dass er Jure heißt. Er hat schneeweiße Haare, und das schon seit mindestens 20 Jahren, so viel ist sicher. Ein ruhiger Zeitgenosse, kein Mann vieler Worte. Für ein „Bok“, also ein kroatisches Servus, hebt er kurz den Kopf und nickt. Oft sitzt er einfach da, am betonierten Steg und wirft Steine ins Meer. An manchen Tagen zieht er sein kleines Boot aus den Büschen, spuckt in die Hände und rudert los. Ganz ruhig und gleichmäßig. So lange, bis man ihn mit freiem Auge nicht mehr sehen kann. Wenn er zurückkehrt, hat er meist ein paar Fische dabei. Die nimmt er aus und teilt die Innereien gerecht zwischen den Katzen und Meeresbewohnern auf. Ein paar Stunden später liegt der Fang am Grill, direkt vor seinem Haus.

Jure – wenn er überhaupt so heißt – kennt mich nicht. Er hat mich im letzten Jahr vermutlich auch nicht vermisst, als wir nicht ins Ausland gefahren sind. Heuer war er die ganze Woche nie zu sehen und ja, er ist mir abgegangen. So viel ist sicher.

Von Rudi Raunig

49.

Auf der Landkarte findet man ihn nicht, diesen Ort, an dem man mit einem Pferd auf der Veranda frühstücken kann. An dem Limonadenflaschen in Bäumen wachsen und Lebkuchen am Boden ausgestochen wird. Und doch ist die Villa Kunterbunt (Wohnort von Pippi Langstrumpf) seit der Kindheit Sehnsuchtsort. Zwar kann man auf der schwedischen Insel Gotland sogar die „originale“ Villa aus den Filmen besichtigen, die beim Lesen erzeugten Emotionen kann sie aber nicht stillen. War es als Kind die Sehnsucht nach einem Leben ohne elterliche Restriktionen, schien die freie Nutzung einer Kiste Gold als Jugendliche reizvoll. Als Erwachsene wünsche ich mir das Gefühl der kindlichen Naivität zurück. Tun ohne Konsequenzen. Mit Blödeleien die Welt erobern. Gott sei Dank naht der Advent. Das Keksebacken wird heuer auf den Fußboden verlegt, sauber gemacht wird mit Schrubbern an den Füßen. Sehnsucht adieu – und den eigenen Kindern wird’s gefallen.

Von Heike Krusch

48.

Salzburg also: Geburtsort, aber nie Lebensmittelpunkt. Ein Kaleidoskop aus Erzähltem und Erlebtem ergibt ein eigenes Bild der Landeshauptstadt: Von der „Schranne“, Bauernmarkt vor der St. Andräkirche, wo die Großmutter stets eingekauft hatte. Von langen Hunderunden entlang der Fischach. Von festlichen Essen beim „Gmachl“, heute ein modernes Hotel (Bergheim bei Salzburg). Von der verwinkelten Steingasse, dem „Spielplatz“ der Mutter. Natürlich von der Festung samt ihrem Folter-Keller, wo noch immer Kinder angekettet würden, wie der Großvater dem Enkel versichert hatte. „Boomer-Humor“ würden heute die Teenager dazu sagen. Vom Mirabellgarten und seinem Barockmuseum, das längst weichen musste – wofür eigentlich noch? Vom Bestaunen betuchter Festspielgäste, die sich im „Österreichischen Hof“ (Sacher) in die Auslage setzten. Von lauen Nächten und Gesprächen am Ufer der Salzach, die jede Sehnsucht fortschwemmte.

Von Thomas Rossacher

47.

Cremiges Vanilleeis? Oder war es doch das leuchtende Orange von Mango-Maracuja, das einem klebrig-süß über die Mundwinkel lief? Bei allen Eistüten dieser Welt könnte man sich das nicht mehr in Erinnerung rufen. Aber das Eis, das ist geschmolzen. Damals auf der Parkbank. Im Herzen einer kleinen Stadt in der Obersteiermark. Im wahren Sinn des Wortes. Aber nicht nur das. Und damit ist zwischen die Zeilen gelegt, dass das Eis an diesem Nachmittag nicht die Hauptsache war. Ob Schäfchen am Himmel gekuschelt haben? Mag sein. Mag nicht sein. Aber wenn es so war, man hätte sich federleicht wie diese Wolken gefühlt. War es strahlend blau? Vielleicht. Aber es hätte auch in Strömen regnen können, die Sonne schien im Herzen. Wie hätte es anders sein können bei ihren leuchtenden Augen und dem umwerfenden Lächeln? An diesen Ort der Sehnsucht kann man jederzeit zurückkehren – er wohnt in einem selbst. Für immer.

Von Andreas Schöberl-Negishi

46.

Schrunden an den Schienbeinen, Splitter in Daumen und Zeigefinger, die Hüfte gerade noch so davongekommen. Der Knöchel vom letzten Absprung leicht gestaucht, aber lachend über das ganze Gesicht. Noch einen Meter mehr zu verzeichnen. Davor Haut an Rinde, Ast für Ast, dorthin, wo die bemooste Aushöhlung versteckt im dichten Blätterwerk wie gemacht ist für die Pirsch aus hohen Lüften. Der griesgrämige Nachbar gräbt auf der anderen Straßenseite in der Erde. Nach Gold? Nach anderen Schätzen? Wer ist sein Auftraggeber? Welche Mission hat er? Während auf der Beobachtungsstation das Kopfkino groteske Blüten treibt, baumeln die Beine ins Grenzenlose. Heute steht dieser Apfelbaum nicht mehr, die Sehnsucht nach dem Gefühl in der Krone bleibt. Höhenangst würde mir die Show vermutlich sowieso verderben. Für die Fußfreiheit im Kino muss ich mir deshalb andere Orte suchen. Kein Problem, mit ein bisschen Fantasie, die beflügelt.

Von Barbara Jauk

45.

Die Alpen sind ein Begriff, den man nur im Plural kennt, beschreibt er doch nicht nur einen Gipfel, sondern ganze Gebirgszüge und -stöcke. Emporragend zwischen tiefen Tälern und dichten Wäldern scheint die Mehrzahl nur allzu passend, immerhin bestimmen die Alpen auf 1200 Kilometer Länge und bis zu 250 Kilometer Breite das Landschaftsbild: wie der Horizont, dessen Ende ungreifbar bleibt. Ob sanft als Mittelgebirge im Nordosten oder schroff und karg als Hohe Tauern. Ob Kalk, Granit oder Gneis, Wildflusscharakter oder Gletscher – fast schon überfordert tritt man der Vielzahl an Möglichkeiten entgegen: eine Skitour in der Silvretta, Klettern im Rätikon, eine Hochtour im Wallis oder eine Wanderung in den Julischen. Gipfel so reich an der Zahl, dass mein Menschenleben nicht ausreicht, um die scheinbare Unendlichkeit zu fassen.

Es ist meine Sucht nach Alpen, nach der ich mich immer wieder sehne.

Von Martin Johaim

44.

Wenn wir uns an Dinge erinnern, dann oft über Gerüche. Der Duft von Vanille wird mich wohl immer an die weihnachtliche Backstube in Mutters Küche erinnern. Dieses eine Parfum an jenem Mann, um den sich eine Weile so viel drehte. Der Geruch von nassem Asphalt an Sommergewittern, die im Ennstal zur heißen Jahreszeit gehören wie Pommes zum Schwimmbad. Und dann ist da noch dieser eine Geruch, der mehr als alles andere nach Unbeschwertheit und Sommer duftet. Ich rieche ihn, wenn ich das Fenster des Autos auch nur einen Spalt öffne, sobald ich um diese eine Kurve in eine völlig andere Welt abbiege. Die Luft ist frisch, es duftet nach Waldboden und wilden Bächen. Aber noch viel mehr riecht es nach endlosen Sommertagen, nach Abenteuern im Wald, die so groß waren, dass wir ganze Wochen darüber sprechen und lachen konnten. Und nach einem Stück heile Welt, abseits jener, die so aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Von Maria Schaunitzer

43.

Es sind 3400 Kilometer, die den Flughafen Graz-Thalerhof von jenem auf Gran Canaria trennen. Doch hinter dieser Zahl verbirgt sich weit mehr als nur die Sehnsucht, irgendwo die Seele baumeln zu lassen. Über etliche Jahre hinweg war für mich der Flug von Graz nach Gran Canaria zugleich eine Flucht aus dem Alltag. Hinaus aus der Kälte und hinauf auf eine Insel im Norden Afrikas, wo dieses Wort im Vokabular der Einheimischen schlichtweg nicht zu existieren scheint. Das Wetterglück förmlich gepachtet, ging dieser Schachzug Jahr für Jahr auf. Egal zu welcher Jahreszeit, egal ob als Kind oder als Erwachsener. Der Sand unter den Füßen als Merkmal der weitläufigen Dünen rund um Playa del Inglés, gepaart mit den kleinen Annehmlichkeiten des Lebens: Sonne, Meer, einer wunderbaren Prise Meeresluft und dem täglichen Ausflug ins Café Mozart, wo das Waffeleisen glüht. Eine Hommage an die Heimat, in die man ohnehin früher zurückkehren muss, als es einem lieb ist.

Von Marco Mitterböck

42.

Dort, im äußersten Südwesten von England, wartet mein Sehnsuchtsort, den ich in von der Arbeit beherrschten Realität nur alle paar Jahre besuchen kann – im Kopf und Herzen umso häufiger. Der liebe Gott muss einen besonderen Moment der Inspiration gehabt haben, als er Cornwall ersonnen hat. Schönheit, zwischen lieblich und rau, mit wunderschönem Hinterland, spektakulären Küsten und dem South West Coast Path, einem entlang der Küste über 1014 (!) Kilometer verlaufenden Wanderweg.

Vor allem abseits der Hauptsaison hat man nicht zu viele Menschen um, dafür den Atlantik in all seiner Grandezza vor sich: weiter Himmel, weiter Blick. Mit einer Lunge voller Meeresluft und Salz auf den Lippen peile ich dann womöglich ein Pub meines Vertrauens an, um ein „Atlantic Pale Ale“ zu genießen. „This Is the Sea“ von den Waterboys ist meine Hymne dazu – sollte ich tatsächlich einmal genug vom hypnotisierenden Meeresrauschen haben.

Von Thomas Golser

41.

America’s Got Talent? So was schaut man sich doch nicht im Fernsehen an. Spaziere an einem beliebigen Wochentag über den Lower Broadway von Nashville, Tennessee, und dir fliegt von Mittag bis Mitternacht in jedem Honky-Tonk-Schuppen eine derartige Ladung an musikalischem und stimmlichem Talent entgegen, dass du das eigene Dilettieren gern eingestehst. Aber reduziere diese ewig junge Musikmetropole mitten in einem stockkonservativen Südstaat bitte nicht auf ihren Country- und Westernsound! So, wie John R. Cash bis zu seinem Tod durch die Genres gewandelt ist (was im Cash-Museum zu wenig gewürdigt wird), verschwimmen auch in Music City USA die Grenzen. Von den superlässigen Hipstercafés rund um Five Points über die muffige Bluegrass-Hütte in „The Gulch“ bis zu der Kultbühne aller Singer-Songwriter im legendären „Bluebird Cafe“: Ich habe sie alle besucht und dennoch das Gefühl, so viel verpasst zu haben. Es wäre wieder mal an der Zeit …

Von Wilfried Rombold

40.

Der innere Pausenknopf. Sobald ich ihn drücke, gehört die nächste Stunde nur mir. Keine Arbeit, kein Smartphone. Kein Müssen. Nur ich auf meiner Yogamatte. Und um mich herum ist Stille. Es ist meine Sehnsucht nach Ruhe, nach tiefer Entspannung. Wenn nichts und niemand an einem zerrt; nichts erledigt werden muss und niemand etwas haben möchte. Nur ich auf meiner Yogamatte. Sanft gleitet mein Körper über sie, streckt sich, entspannt sich. Er schmerzt, er weint, er lacht – mein Körper heilt. Die Bewegungen sind fließend.

Und der Geist entspannt mit. Die azurblaue Matte lädt zur geistigen Reise ein. Sanftes Meeresrauschen, die Lippen schmecken salzig. Gedanklich bin ich im Urlaub. Die Stirn ist schon ganz feucht. Vom Meer? Eher vom Tanz auf meiner Yogamatte – bis ich die Endposition erreiche. Shavasana heißt sie, sie ist Entspannung pur. Mit ihr ist meine Stunde vorbei. Doch die Ruhe in mir bleibt.

Von Katharina Siuka

39.

Stille, nur unterbrochen von heiterem Vogelgezwitscher, ein malerischer Blick auf die schneebedeckten Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau, ein Holzbänkchen im Schatten eines Baumes auf einer sanft abfallenden, grünen Blumenwiese, neben mir ein knuspriges Croissant, das ein Hotelgast beim Frühstück verschmäht hatte, in den Händen ein Buch von Hermann Hesse, „Siddhartha“, „Das Glasperlenspiel“, „Narziss und Goldmund“: Das war mein Sommer nach der Matura. Während andere spektakuläre Reisen machten, fuhr ich mit Zug und Fahrrad in ein kleines Dorf namens Wilderswil am Fuße der Schynige Platte, um in einem kleinen Hotel zu arbeiten und das Leben zu genießen. Jede freie Minute nützte ich, um zu lesen oder die zahllosen Berge und Ausflugsziele rundum zu erobern. Wengen, Grindelwald, Thuner- und Brienzersee in Fußnähe, Tori Amos und Züri West im Ohr, nichts mehr wollte das Herz. Seither hat die Sehnsucht einen Klang. Und einen Namen.

Von Alice Samec

38.

Der Garten der Großeltern mit der Schaukel, die Kantine im Freibad mit den guten Pommes, der Kletterturm auf dem Spielplatz in der Nachbarschaft: Die Kindheit kehrt zurück an manchen Orten, in meiner Familie beginnt sie sich seit einiger Zeit zu verdoppeln. Wer Kinder hat, kennt das: Plötzlich tobt der eigene Nachwuchs durch den Garten, köpfelt vom Sprungbrett oder wagt sich auf das Klettergerüst – so wie man selbst vor (mittlerweile) vielen Jahren. Das fühlt sich an wie der Anfang und das Ende eines Sommers – zur gleichen Zeit. Es beginnt eine neue Kindheit an altbekannten Orten. Das ist schön und etwas traurig zugleich: Die eigene Kindheit erscheint dir wieder und verblasst im selben Moment immer mehr, um Platz zu machen für andere Abenteuer und neue Geschichten. So wie der Sommer, der irgendwann enden muss, aber verspricht, beim nächsten Mal dafür umso schöner und spannender zu sein.

Von Thomas Macher

37.

Zwei Seile hier, zwei Knoten da. Schneller als mit einer Hängematte ist ein Schlafplatz kaum gefunden – Seele baumeln lassen der Extraklasse. Nur über der Baumgrenze wird es schwierig. Dann tut es dafür die Kombination aus Zelt und Biwaksack oder die gemütliche Schutzhütte. Für kältere Temperaturen muss noch ein Daunenschlafsack sein, für den alternden Rücken eine aufblasbare Isomatte. Fehlen noch Kleidungsstücke jeglicher Art, je weniger desto „aromatischer“. Gaskocher samt zusammenklappbarem Essbesteck und ganz wichtig: eine Taschenlampe, im Volksmund „Stirnbirn“, für den nächtlichen Notfall. Die Sehnsucht gilt nicht einem Ort, sondern einem Gegenstand. Egal ob Costa Rica, Indonesien oder Schweden. Stets war er der treueste aller Begleiter. Längst ist er mehr Lebenseinstellung als Ding. Nun steht er in der Ecke und wartet auf sein nächstes Abenteuer, der 70 Liter fassende Rucksack.

Von Jakob Illek

36.

Dort, wo Großstadtdschungel mit jahrhundertealten Waldflächen kollidiert, habe ich durchatmen gelernt. Und meine zweite Heimat gefunden. Während die Menschen vor der Kulisse von Kenwood House in der Wiese picknicken, vibriert in der Ferne das Leben in Großbritanniens Hauptstadt. 2010 war ich das erste Mal dort, setzte mit 16 Jahren Fuß auf englischen Boden – und ließ einen Teil von mir dort. In den vollen Gassen Camden Towns, in Shoreditchs Vintage-Läden, unter der Kuppel des Millennium Domes und in Hampsteads vollgeräumten und nach Wissen duftenden Buchhandlungen. London bedeutet Heimkehren, jedes Mal. Inzwischen kann ich nicht mehr zählen, wie oft meine Füße mich bereits durch Notting Hill getragen haben, doch ich erinnere mich an Silvester 2017: eine Gruppe junger Frauen irgendwo an der Themse zwischen Battersea Park und Vauxhall, die sich in den Armen lagen und das Leben zelebrierten. Eine grenzenlose Freiheit, die ich nur dort empfinde.

Von Simone Rendl

35.

Wer den Blues hat, hat nach der gängigen Definition gerade nicht viel zu lachen. Wie es zu dieser Prägung kam, ist nachvollziehbar, bleibt aber befremdlich. Denn der Blues und seine Spielarten haben nachdrücklich zu meiner Begeisterung für Musik beigetragen – und damit zugleich eine Vielzahl an Sehnsuchtsorten generiert. Angefangen beim CD- und Platten-Kasten des Vaters, wo sich Ostbahn-Kurtis Lilli Marschall, Johnny Winter oder Eric Clapton in Ohr und Herz geschlichen haben. Mal war es die Couch, von der aus man trefflich verfolgen konnte, wie Jake und Elwood Blues Polizeiautos im 4/4-Takt auftürmten oder eine feurige Aretha Franklin – Jimi hab sie selig – Matt „Guitar“ Murphy zum Denken ermuntert. Natürlich wurden auch Bühnen zu Sehnsuchtsorten. Wie der See-Pavillon in Luzern, wo sich zum alljährlichen Blue Balls Festival B.B. King oder Jimmy Cliff das Mikro in die Hand drückten. Kaum gab es schönere Sommerpausen als die blauen.

Von Matthias Reif

34.

Immer da, wo du bist, bin ich nie“, singt der großartige Sven Regener ganz entspannt. Keine Ahnung, ob er dabei an Orte der Sehnsucht gedacht hat. Aber das trifft es schon ganz gut – das Sehnen, das Suchen, die Sucht, Orte mit Suchtpotenzial. Die uns ganz nah sind oder aber in weiter Ferne liegen. Dort, wo sich die vielen Farbnuancen der Sonne zeigen, wie sie unbeirrt über dem Meer aufsteigt oder sich in die Nachtstunden verabschiedet. Dort, wo die Laufschuhe sich vom weichen Waldboden wegdrücken und jeder Baum wie eine kulturelle Schöpfung wirkt. Dort, wo die frische Bergluft die Sinne stärkt und den Gedankenballast fortträgt. Dort, wo der warme Sommerwind die Leichtigkeit des Seins am Ufer des Sees einkehren lässt. Dort, wo kulinarische Freuden den Alltag in Vergessenheit geraten lassen. Und dort, wo Musik die Sinne betört – und zum Inbegriff der vielen Spielarten der Sehnsucht wird. Wo auch immer wir diese verorten.

Von Wolfgang Fercher

33.

Zwei kleine Kinder, Alleinverdiener und Hausbau – eigentlich konnten wir uns keinen Urlaub leisten. Aber ein Onkel meiner Frau hatte ein Haus in Grado, wo wir billig wohnen konnten. Also Grado. Für die Kinder war es das Paradies: Sandburgen ohne Ende, Mortadella mit Pfirsich und an jeder Ecke eine Eisdiele. Auch ich begann, die Stadt zu lieben, die verwinkelten Gassen, die Restaurants, das abendliche Flanieren. Im nächsten Jahr freuten sich schon alle auf das Meer, die Pizza im „Savial“ und das Gelato, das so viel besser schmeckte als daheim. Aber die Kinder wurden größer, das Meer wurde ihnen zu seicht und zu warm, außerdem: immer dasselbe. Grado wurde ausgemustert. Vor einigen Jahren war ich mit meiner Frau wieder dort. Das „Savial“ hatte noch immer die beste Pizza, die „Drei Grazien“, drei alte Schwestern mit Weinschenke, gibt es längst nicht mehr, dort ist eine trendige Bar. Vieles hat sich verändert, aber Grado bleibt für mich der Inbegriff des Italien-Urlaubs.

Von Franz Pototschnig

32.

Wer hätte gedacht, dass bei mir – absoluter Sommermensch und Meeresliebhaber – einmal ein Winterort in den Bergen solche Gefühle wecken könnte? Seit sich unser Bub unglaublich für Schnee und Skifahren begeistert, zieht es die Familie jedes Jahr auf den Katschberg. Dort ist es – nona – kalt. Man schält sich also ebenso mühsam in mehrere Schichten Kleidung wie man an dem Zeug, das man für den mehr oder weniger eleganten Schwung den Berg hinunter braucht, schleppt. Und doch: Als letztes Jahr der Skiurlaub wegen Corona abgesagt werden musste, hatte nicht nur das jüngste Familienmitglied Tränen der Enttäuschung im Auge. Kein gemeinsames Sitzen mit den Großeltern vor dem Kachelofen, kein Sausen über die „Direttissima“, nicht dieses Gefühl der Freiheit, das ich auf der Piste spüre. Als wir heuer endlich wieder ans Meer fahren konnten, war sie selbst beim Wohlgefühl der warmen Sonnenstrahlen auf einmal spürbar: die Sehnsucht nach dem Katschberg.

Von Nora Kanzler

31.

Sonne, Strand und Meer – diese Kombination übt im Hochsommer keinen Reiz auf mich aus. Stattdessen schätze ich das Flair sowie das kühle Nass des Wörthersees. Eine willkommene Abwechslung ist allerdings ein Abstecher nach Oberkärnten an den Millstättersee. Wenn der Wettergott ankündigt, so ganz und gar nicht mitspielen zu wollen, bleiben halt die Badesachen daheim. Ein köstlicher Brunch am Ufer schmeckt auch bei Regen. Und wenn es durch den kleinen Schirm erste Reihe fußfrei in die Kaffeetasse zu tröpfeln beginnt, dann wechselt man halt unter den großen Schirm, der auch bei einem starken Guss Trockenheit verspricht. Eines hat sich an jenem Tag bewahrheitet: Auf Regen folgt Sonnenschein. Die Sonne hat sich – langsam, aber doch – ihren Platz zurückerobert. Und so war der Weg frei für die nächste Station, die schon lange auf meiner To-do-Liste stand: einem Besuch im Granatium. Doch das ist eine andere Geschichte

Von Petra Lerchbaumer

30.

Das mit der Sehnsucht ist so eine Sache. Jene nach neuen Orten hat mich seit jeher fest im Griff. Unentdeckte Länder, unbekannte Kulturen und unerlebte Abenteuer lockten stets und schienen nur darauf zu warten, dass ich mich zu ihnen auf den Weg mache. Das tat ich auch. Bewaffnet mit Pass und Kamera marschierte ich durch Australien, entdeckte Amerika, erkundete Afrika, bereise Europa und sah mich in Asien um. All das im Glauben, diese Sehnsucht irgendwann stillen zu können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Je mehr Sehnsuchtsorte ich bereise, desto gieriger werde ich nach Neuen. Besuche ich eine Stadt, die mir gefällt, will ich den Rest des Landes sehen. Lerne ich Gebräuche einer Provinz kennen, frage ich mich, wie es in anderen zugeht. Probiere ich das traditionelle Gericht einer Region, verlangen die Geschmacksknospen nach Kostproben aus der nächsten. Die Sehnsucht nach neuen Orten treibt mich vor sich her. Und ich würde es nicht anders haben wollen.

Von Christina Traar

29.

In San Francisco rollten wir mit unseren Harley-Davidsons schon ein wie eine coole Rocker-Gang. Nur wenige Tage davor noch hatten wir ziemlichen Respekt vor diesen 350-Kilo-Kultgeräten gehabt. Aber jede Menge Kilometer auf dem Highway Number One in Richtung „Frisco“ hatten unser Selbstbewusstsein im Ledergwandl enorm befeuert. Nicht ahnend, dass uns die steilen Straßen von San Francisco mit ihren Querstraßen – samt Vorrang! – noch einige Ängste bereiten sollten. Aber als wir unsere Maschinen schließlich vor einem Lokal im Hafenviertel Fisherman’s Wharf in Reih und Glied abgestellt hatten und aus dem Radio einer Harley – ja, die hatten das damals schon – zufällig ein Wiener Walzer ertönte, war der Auftritt von uns Österreichern nahezu perfekt.

Richtig perfekt wurde es dann schließlich aber, als wir im Konvoi über die Golden Gate Bridge bretterten. „Good Vibrations“ auf insgesamt 2737 Metern Länge.

 

Von Bernd Olbrich

28.

Langsam komme ich in ein Alter, in dem es kein besonderes Kompliment mehr ist, wenn man sagt: „Mah, hier schaut alles noch genau so aus wie damals, als ich als Kind hier war.“ Aber weil Nostalgie eine Kraft ist, die sich allen irdischen Gesetzen widersetzt, möchte ich Ihnen trotzdem einen Besuch am Erlaufsee nahelegen.

Der See, ein Kondominium zwischen Niederösterreich und der Steiermark, ist wahlweise von Mitterbach oder Mariazell aus zu erreichen, und, was soll ich sagen, es ist genauso dort, wie es war, als ich ein Kind war. Die Liegewiese am Waldrand, der Ausblick in die Berge, das Eis am Kiosk, die Tretboote am See. Das Wasser eisig, die Sicht trübe, nur die Museumstram vom Marienwallfahrort her fährt ein bisschen seltener als damals. Es gibt eine rostige Rutsche, eine Badeinsel im See, es ist ein Traum – und genau die richtige Belohnung, wenn man von einer Wanderung in den Ötschergräben, auf Bürger- oder Gemeindealm kommt

Von Georg Renner

27.

Es war die Frühphase des Studiums in den späten Siebzigerjahren, lange Ferien, die gefüllt werden mussten und eine weite, weitgehend unbereiste Welt. Das Bücherregal war schütter besetzt, in der Rubrik Reiseführer stand ein einziger DuMont-Band. Die Bilder zeigten saftig grüne Wiesen, Schafe, Menhire, mysteriöse Buchillustrationen: Irland. Irgendetwas hatte meine Aufmerksamkeit auf die Insel gelenkt, lange bevor Tolkien und Rowling die jugendliche Fantasie in idealisierte Versionen der Gegend gelockt hatten. War es die Sehnsucht nach Abgeschiedenheit, waren es die einsamen Leuchttürme, die scheinbar endlosen Weiten, die abrupt zum Meer abfielen oder die Aussicht auf sanften Dauerregen, die die schwermütige Studentenseele gelockt haben? Es sollte bei der Lockung bleiben. Der Reiseführer steht seit ein paar Monaten gealtert aber jungfräulich im Regal eines Wiener Antiquars. Säuberung aus Platznot. Irland bleibt Sehnsuchtsort, unbefleckt.

Von Thomas Götz

26.

Ich gebe es freimütig zu. Österreich muss auf mich als Sommerurlaubsgast verzichten. Mit Grünem Pass im Gepäck verlasse ich mich auf unsere südlichen Nachbarn. Die Costa Smeralda im Norden Sardiniens zählt mit ihrem smaragdgrünen Wasser nämlich auch für Italiener zu den schönsten Küsten der Welt. Und sie haben recht. Roger-Moore-Fans wissen außerdem: Hier wurde der James-Bond-Streifen „Der Spion, der mich liebte“ gedreht. Jetzt bleibt nur abzuwarten, wie lange es dauert, bis mich die Sehnsucht nach Bergen und Seen ergreift. Doch, halt: Die höchste Erhebung ist die Punta La Marmora (1834 Meter) und mit dem Lago di Baratz gibt es auch einen natürlichen Süßwassersee. In diesem Sinne: Genießen Sie den heutigen „Ferragosto“, wo und wie Sie können – ob mit oder ohne Salz. Und wer beim Zuprosten das Beste aus zwei Welten verbinden will, greift am besten zum sizilianischen Birra Messina und trinkt so beigemengte Salzkristalle mit.

Von Alexander Tengg

25.

Bücher sind die besten Reisebüros. So viele Optionen – ohne Reiseversicherung oder Flugscham. Man kann auf Eishai-Jagd gehen im stürmischen Vestfjord (Das Buch vom Meer, Morten A. Strøksnes). Man kann auf dem Polarstern durch die Arktis driften (Eingefroren am Nordpol, Markus Rex). Man kann aber auch in Palm Beach, Finland (Antti Tuomainen) abschalten – wenn man seine Drinks und Urlaube kühler mag. Man kann es ruhig angehen und der Hofstange zusehen wie sie in den Himmel wächst (Vorläufige Chroniken des Himmels über Pildau von Max Scharnigg). Man kann die Lofoten per Rad erkunden (Lichtinseln, Tarek Siddiqui). Man kann sich aber auch ins norwegische Fjell zurückziehen (Ein Hummerleben von Erik Fosnes Hansen). Oder man hört im norwegischen Mittsommer ganz genau hin (Der Alleinunterhalter, Lars Saabye Christensen) und freut sich dann auch schön langsam wieder auf „Zuhause“ (Kristof Magnusson). Und, wo geht’s als Nächstes hin?

Von Carmen Oster

24.

Schon immer hat es mich gelockt, das Wasser. Mein Sehnsuchtsort ist weniger ein geografischer Ort als eine Tiefenangabe: Zehn Zentimeter unter der Wasseroberfläche beginnt für mich das Glück. Den Schnorchel im Mund, Flossen an den Beinen und ab ins Meer. Die Welt vergessen und dem eigenen Herzklopfen lauschen. Nichts übt stärkere Faszination auf mich aus als die vielen Facetten an Blau, die Brechung des Lichts, die Wellen, die Strömung. Es sind Ausflüge in eine Welt, in der nur das Hier und Jetzt zählt. Auch wenn ich mich noch nicht in die Tiefe getraut habe, unter der Wasseroberfläche wartet mein Glücksort. Perfektioniert wurde dieses Erlebnis einst auf den Malediven, als zwischen bunten Fischen plötzlich Isabella auftauchte – die „Haus-Schildkröte“ des Resorts. Als sie langsam unter mir vorbeiglitt, wohl auf einem der schönsten Fleckchen dieser (Unterwasser-)Welt, da wusste ich: Die Sehnsucht wird ewig bleiben.

Von Sarah Ruckhofer

23.

Keine Ahnung, ob dieser Sehnsuchtsort noch einer wäre, wenn die Sehnsucht sich zwölf Monate im Jahr erfüllen würde und nicht nur wenige Wochen im Sommer, wenn die zwei mächtigen Kirchtürme des Ortes sich in den blitzblauen Himmel bohren, das klare Wasser des Sees jeden Schwimmer verzaubert, der Radweg rund um den See mit seiner landschaftlichen Schönheit betört – sofern nicht kerzengerade auf E-Bikes sitzende Radfahrer stören.
Dieser Sehnsuchtsort heißt Millstatt, früher tummelten sich hier viele Touristen, es gab vier Lebensmittelgeschäfte, zwei Fleischhauereien, zwei Obstgeschäfte, drei Trafiken, drei Tankstellen, heute gibt es ein Lebensmittelgeschäft und eine Trafik.
Woher die Sehnsucht nach diesem See, den zwei Kirchtürmen kommt? Vielleicht sind es die Kindheitserinnerungen, vielleicht ist es die Faszination des tausend Jahre alten Stiftes oder der See, in den sich jede leidenschaftliche Schwimmerin verlieben muss – lebenslang.

Von Carina Kerschbaumer

22.

Heuer zeigt es sich von seiner aufbrausenden Seite, das hier sonst stets vor sich hinschlummernde Meer. Ansonsten gleichen sich die Bilder beim längst obligatorischen Strandspaziergang von Lignano Sabbiadoro hinauf zum markanten, nur über einen langen Steg erreichbaren Cafè wie eh und je. Herumtollende Kinder zwischen Sandburgbau und Krebsenjagd, alarmierend geröteten Touristen und vor sich hinschnatternden Italienern. Ein lebhaftes Sammelsurium sorgenfreier Gesichter, die den Betrachter glücklich stimmen. Doch im selben Moment auch die mahnende Erkenntnis, dass nichts von all dem ewig währt. Noch ist es nicht lange her, als die geliebte Mutter den Weg im tiefen, heißen Sand noch mitmarschierte. Heute ist sie nicht mehr. So, wie man auch selbst einmal nicht mehr sein wird. Aber so ist er nun einmal, der Lauf der Zeit. Ein stetiges Kommen, ein stetiges Gehen. Auch am Strand von Lignano Sabbiadoro.

Von Alexander Tagger

21.

Das kleine Stückchen Wiese vor einem Wohnhaus am Stadtrand reichte für uns Kinder einen ganzen Sommer lang. Die Sandkiste verwandelte sich (wenn die Ohrenschlüpfer zuerst verscheucht waren) zum Strandbad. Es gab keinen Pool, aber einen Gartenschlauch, der, über einen Rechen gewickelt, zur Regendusche wurde. Aus Sonnenliegen und Handtüchern bauten wir Höhlen. Darin aßen wir winzige Walderdbeeren, die wässrig schmeckten, bis Omi den Staubzucker brachte. Wir zählten Feuerwanzen und erzählten uns Wolkengeschichten. Wir ließen Boccia-Kugeln klackern, Marienkäfer fliegen und warfen Federbälle auf die Balkone der Nachbarn. Die Rückholaktion wurde zur schweißtreibenden Mutprobe. Die Großeltern, denen der Garten gehörte, sind seit vielen Jahren tot. Heute spielen andere Kinder auf dem Stückchen Wiese vor der Wohnung. Ob diese für sie auch zum Sehnsuchtsort wird?

Von Veronika Dolna

20.

Vielleicht lag es einfach daran, dass Los Angeles die gleichen Initialen aufweist wie mein eigener Name. LA. Oder dass ich mich als Jugendlicher vom Wunsch überraschen ließ, Nachfolger von Lou Grant bei der „Los Angeles Tribune“ werden zu wollen. Die es nur in der TV-Serie gibt. Irgendwann war ich dann wirklich in der Stadt der Engel, und dann wieder und dann noch mal und es wird weitere Male geben. Samt Rundherum. Rauf über den Pacific Coast Highway ins mondäne Santa Barbara, nach Monterey oder gleich weiter nach „San Fran“. Oder runter zum Venice Beach und dann nach San Diego, mit einem verwegenen Blick über die Grenze, nach Tijuana. Oder in die Wüste, coole Fotos mit einem offenen 71er-Chevrolet Impala V8 vor den Joshua Trees. Pause in Palm Springs, weiter nach Nevada: Viva Las Vegas! Um dann daheim, beim Aussteigen aus dem Flieger, Herrn Fendrich zu zitieren: „I hob no was vergessen…am Strand von Malibu“.

Von Andreas Lieb

19.

Als Bauerntochter war der Sommer nie die Lieblingsjahreszeit – es gab immer etwas und noch mehr zu tun. In den heißesten Stunden des Tages aber verkroch ich mich unter der alten Haselstaude oder klettere in den Nussbaum. Dort radelte ich mit den fünf Freunden über die britische Insel, war 2000 Meilen unter dem Meer unterwegs, ritt mit Old Shatterhand durch die Prärie und suchte die Schatzinsel. Sonntag für Sonntag plünderte ich die örtliche Bücherei auf der Suche nach Nachschub. Seit damals trage ich den Geruch der alten Räume, durch deren Fenster nur langsam die Vormittagssonne sickerte, in meiner Nase. Ein bisschen wiedergefunden habe ich ihn in anderen, oft ehrwürdigen Bibliotheken von Paris bis Stift Admont. Und noch heute ist der Sommer am schönsten mit einem Buch, das ein neues Abenteuer verspricht – am liebsten im lichten Schatten der windschiefen Pinien am Lieblingsstrand in Kroatien oder unter dem mächten Ahorn im Strandbad Klagenfurt.

Von Marianne Fischer

18.

Hinaus auf die große Stadtfluchtstraße, deren geschichtsbedenkliche Benennung heute lieber mit drei Buchstaben abgekürzt wird. Beim
Stadion, dessen Erst-Benennung einst hollywoodreif ein Ende fand, scharf links. Rauf auf das kurze Stück Autobahn, es
folgen ein paar mäandernde Kilometer
im steten Strom des Abendverkehrs durch den Hagelnetz-Highway.
Die Linksabbiegung nicht verpassen, Vorsicht: wechselwilliges Wild!
Bei der Brücke eine schnelle Rechts-links-Kombination, danach die im Sommer olfaktorisch anspruchsvolle Tierparkkurve hinauf.
Vorbei am Blumenhügel, der alle Gäste willkommen heißen will, nochmals über eine Brücke, die S-Kurve hinauf, dann
ein letztes Mal links. Und am Ende
der Straße steht ein Haus (nah) am See.
Endlich daheim.

Von Ulrich Dunst

17.

Fest in seiner Hand hat er mich, mein Sehnsuchtsort. Jedes Mal, wenn ich an der Garage vorbeimarschiere, driften meine Gedanken ab. Hin zu nasskalten Abenden auf schottischen Campingplätzen, menschenleeren schwedischen Küsten oder zu belebten Stränden am Mittelmeer. So unterschiedlich und abenteuerlich die Urlaube auch gewesen sein mögen, der alte Klappwohnwagen meiner Großeltern war ein treuer Begleiter auf vielen Touren. Mit ihm wurde die Welt erkundet und das Zuhause war immer mit dabei – auch wenn es nur ein paar Quadratmeter waren. Beim Aufbau saß jeder Handgriff. Das tragende Gestänge war im Nu ausgerichtet, die Wände in Windeseile zusammengesteckt. Jetzt wartet mein Gefährte seit Monaten darauf, endlich wieder Asphalt unter die Reifen zu bekommen. Eine beträchtliche Staubschicht ist mittlerweile stiller Zeuge seiner Zwangspause, das Pickerl längst abgelaufen. Der Traum, einfach loszufahren, ist aber immer noch da.

Von Martina Pachernegg

16.

Der Sehnsuchtsort ist in Verruf geraten. Dabei nimmt just Zrce, der ewig lange und breite Kieselstrand, in der Erinnerung schönen Raum ein. Als Erholungsquelle und Ort freundschaftlicher Wasserballduelle. 1999 landete die Familie erstmals auf Pag, einer damals touristisch vergessenen Insel. Was vermutlich mit der vom Fallwind Bura kahl geblasenen und der kroatischen Küstenstraße zugewandten Ostseite zu tun hatte. Blickte man darüber hinweg, fand sich ein Kleinod. Mit einer von zahllosen Schafen, Steineichen, tausendjährigen Olivenbäumen und präzise gezogenen Steinmauern geprägten Landschaft. Bevor die Party kam, galt Kulinarisches als Exportschlager. Der Paški sir etwa, ein würziger Hartkäse, und das grobkörnige Salz Paška morska sol. Heute ist Zrce eine Oase des Kommerzes und die Wahrnehmung Pags davon überlagert. Die Sehnsucht nach der im Kern leisen Insel stärkt der laute Bass freilich nur.

Von Markus Zottler

15.

Ende April am Mondsee – vor Jahrzehnten. Bei der Sportwoche wurde mit einem Segelkurs gelockt. Klang wunderbar. War es auch, abgesehen von herbstlichen Nordseetemperaturen, regnerischem Wetter und einer kaum wetterfesten Segelcrew. Dass die segelnde Eroberung der Weltmeere harte Arbeit werde, zeichnete sich schon damals ab. Die Erschöpfung war groß, und es folgte eine jahrzehntelange Pause, die der Erholung galt. Abrupt beendet wurde die Pause mit „Penelope“ und ihrem Skipper Siegi in kroatischen Gewässern. Neben dem Rauschen des Meeres und dem pfeifenden Wind war auch ständig die Titelmelodie der 1970er-Jahre-TV-Serie „Onedin-Linie“ von Aram Chatschaturjan im Ohr. Und da war sie dann auch wieder, die Sehnsucht nach der segelnden Eroberung der Weltmeere, die mittlerweile jedes Jahr ein wenig gestillt wird, sei es mit der wunderbaren Penelope oder mit dem Viermast-Großsegler „Star Flyer“.

Von Johanna Birnbaum

14.

Der Sehnsuchtsort ist immer auch ein Ort, der wehtut. Die Sehnsucht als Sucht, nach der man sich sehnt, die man sucht, ohne hinzusehen, die man sieht, ohne sie zu suchen. Sehnsuchtsorte sind weniger reale als mentale Orte der Selbstvergewisserung: Wer noch spürt, hat nicht vergessen, wer sich erinnert, kennt seinen inneren Kompass. Die chronische Verklärung ist Teil des Konzepts und verdient keine Polemik, sondern bewusste Beachtung: Wie kann das Eis im Freibad zum Sehnsuchtsort werden, wie die Flasche Wein am Strand, wie der smaragdgrüne Fluss im Tessin, den man in Jugendjahren mit offenem Geist inhalierte. Die Erinnerung lässt das Herz schneller schlagen – zugleich, merkwürdig schwer wird es einem um die Brust. Was Sehnsuchtsorte eint, ist ihre Einfachheit, ja Banalität im Grunde. Getragen von der nostalgischen Illusion, etwas im Leben ließe sich festhalten und wiedererleben. Wenn man nur wollte, ja wenn man nur wollte.

Von Daniel Hadler

13.

Auf dem Wochenmarkt im Hochland von Vietnam beinahe irrtümlich einen Wasserbüffel ersteigert. In China in ungläubige Kinderaugen geblickt, die noch nie gesehene, blonde Haare betasten. Mit der Jugend von Belarus hochprozentig auf die Freiheit angestoßen, die ihnen noch immer nicht vergönnt ist. In Japan mit 300 km/h im Shinkansen am Fudschijama vorbeigerauscht. Auf den Dünen der Sahara mit dem Geländewagen gesurft. In der ewigen Nacht des skandinavischen Winters einen Hundeschlitten durch Lapplands Schnee gelotst. Im Zelt in der Namib-Wüste geschlafen, während ein Warzenschwein und eine Antilope daneben am Wasserloch Party feierten. Die Sehnsucht brandet in Wellen auf, wie sie an einem stürmischen Tag im sibirischen Baikalsee ans Ufer pochen. Die Ferne, sie ist nicht mehr nur fern, mitunter ist sie unerreichbar. Aber die Erinnerungen sind nahe wie nie. Und immer wieder packe ich sie aus, aus dem Reisekoffer in meinem Herzen.

Von Karin Riess

12.

Iran im August 1999. Nach einem Nachtflug in der Holzklasse am Rande des Teppichmarktes in Teheran. Mir ist schlecht, ich hab’ Kopfweh, die Sonne brennt gnadenlos herunter und der bodenlange, himmelblaue Mantel (eine Leihgabe der Frau unseres Buschauffeurs – fragen Sie bitte nicht!) zu einem wenig schmeichelhaften Kopftuch (woher hatte ich das bloß?) verbessern meine Stimmung auch nicht gerade. Ich sitze erledigt an der Bordsteinkante, während die acht Kulturreisegefährten und Gefährtinnen drinnen beim Teppichstöbern sind und frage mich: Was um Himmels willen mach’ ich hier? Und da ist er, im Augenwinkel: Ein kleiner Knirps, der aufgeregt ums Hosenbein seines Vaters dribbelt, mit ihm tuschelt, immer wieder in meine Richtung blickt und plötzlich auf mich zusprintet: Ein atemloses „Welcome“, und er ist wieder dahin. Und plötzlich weiß ich, dass ich hier richtig bin. Sehnsuchtsorte, die sind immer da, wo die richtigen Menschen sind.

Von Daniela Bachal

11.

Mein Sehnsuchtsort ist heillos überfüllt, gewissenlos überfischt und übervoll mit dampfenden Müllbergen. Mein Sehnsuchtsort schnappt verzweifelt nach Luft, und den Eisbären schmelzen in meinem Sehnsuchtsort die Schollen unten den Tatzen weg. In meinem Sehnsuchtsort gibt es Tierfabriken und Menschengefängnisse. In vielen Teilen meines Sehnsuchtsortes herrscht Krieg und Millionen Menschen sind auf der Flucht. Durch meinen Sehnsuchtsort fließen die schönsten Flüsse, dehnen sich die weitesten Täler und strecken sich die höchsten Berge in den Himmel. In meinem Sehnsuchtsort leben viele Menschen, die stehen bleiben, wenn der andere strauchelt. In meinem Sehnsuchtsort gibt es die prächtigsten Blumen und Bäume, die schon Jahrhunderte im Boden und in der Geschichte wurzeln. In meinem Sehnsuchtsort verschwindet die Sonne nicht. Mein größter Wunsch ist, dass auch mein einzigartiger Sehnsuchtsort, die Erde, nicht untergeht.

Von Bernd Melichar

10.

Über etwas schreiben, an das man sich nicht mehr erinnern kann – eine Herausforderung für sich. Aber sei’s drum: Seit Jahren bin ich auf der Suche. Im Sommer ziehe ich regelmäßig aus, um einen bestimmten Geschmack zu finden, der mir das letzte Mal in Kindheitstagen untergekommen ist. Hier eine lückenhafte Fahndungsmeldung: Ich erinnere mich an ein Softeis, das wenig mit den Produkten heutiger Fast-Food-Riesen gemein hatte. Das Eis war Produkt einer Maschine, die in den 1990er-Jahren in einem Strandcafé namens „Penker“ in Seeboden am Millstätter See gestanden haben muss. Die Eiskarte kam ohne großen Schnickschnack aus – mehr als drei Sorten gab’s nicht. Über das Eis selbst kann ich nicht viel sagen. Ich weiß nur, dass es ungelogen das Beste der Welt gewesen sein muss. Sachdienliche Hinweise zum Aufenthaltsort dieser Eismaschine werden erbeten und können unter dieser E-Mail-Adresse abgegeben werden: katrin.fischer@kleinezeitung.at

Von Katrin Fischer

9.

Zwischen Karajan-Platz und Toscaninihof, zwischen Universitätsplatz und Mönchsberg ist mein Sehnsuchtsort: Das Wetter ist oft drückend heiß, kein Luftzug kühlt den Asphalt ab und die Kostümierung in Anzug, Krawatte oder gar Smoking und Fliege ist so unvernünftig wie unbequem. Das Gedrängel ist oft schwer erträglich, die Leute ähneln bisweilen eher einer Meute und doch ist der Salzburger Festspielbezirk ein magischer Ort. Auf engstem Raum drängen sich die Kulturtempel: Felsenreitschule, Haus für Mozart, Festspielhaus, Kollegienkirche. Jeden Sommer sind sie voll von Ereignissen. Elitär? Ja, sicher. Abgehoben? Immer wieder. Oberflächlich? Klar doch. Die Festspiele spiegeln eben das Leben und sind selbst Teil dieses Lebens, wo auch nicht alles super ist, sondern voller Makel und Ärgernisse. Aber das Wesentliche, die Kunst, die beamt einen in andere Sphären. Der Festspielbezirk ist streng genommen auch nicht Kulturbezirk, sondern Abschussrampe.

Von Martin Gasser

8.

Schmutzig, gefährlich und viel zu laut – nie hätte ich gedacht, dass eine Stadt mit diesen Attributen zu der wird, an die ich speziell im Sommer sehnsüchtig denke. Das ist kein Fernweh, wie man es hat, wenn man länger nicht auf Urlaub war. Neapel hat vollends mein Herz erobert. Der Schauspieler Alessandro Siani sagte einmal: „Das Neapolitanische unterscheidet nicht zwischen ‚lieben‘ und ‚gern haben‘. Also, wenn ein Neapolitaner dich gern hat, liebt er dich bereits.“ Und genau so ist es mit den Neapolitanern. Und wenn ich daran denke, auf einem Felsen direkt am Meer zu sitzen, eine Pizza zu essen und ein Glas Rotwein zu trinken, während sich die Sonne zur Ruhe begibt und ich den Vesuv betrachten kann, spüre ich diese Sehnsucht. Ja, es kann wild und chaotisch sein. Und natürlich kann diese Stadt Gefahr in sich bergen. Aber: Napoli, ti voglio bene e mi manchi troppo. Neapel, ich hab’ dich gern und du fehlst mir. Sehr. Wenn ich an dich denke, kann ich das Meer schon riechen.

Von Daniela Winkler

7.

Urlaub am Bauernhof. Volè vom Auto rein in den Stall – vorsichtig den Kopf um die Ecke und die Nase hinein gestreckt. Um das Kälbchen an den Fingern nuckeln zu lassen und um zu überprüfen, ob der Stall wohl noch nach Stall riecht. Tat er. Gut so, weiter also zum Löwenzahn. Seine Blätter mussten schließlich dringend gepflückt und an die Kaninchen verfüttert werden. Die kleinen Finger samt Löwenzahn in das Gehege gestreckt, schweiften die Augen kätzchensuchend umher. Unter dem Traktor, unter dem Anhänger, oder doch oben im Heustadl? Plötzlich aber ließ mich sein Anblick innehalten. Mächtig stand er vor mir – sein Kamm so schroff und voller Zacken: der höchste Gipfel der Steiermark – der Dachstein. Und während Kühe mit ihren dumpfen Glocken die ländliche Stille übertönten und die Kätzchen tollpatschig in der Wiese herum purzelten, fiel mir wieder ein: Wir waren ja gar nicht nur der Tiere, sondern der imposanten, ennstalerischen Bergwelt wegen hier.

Von Isabella Jeitler

6.

Kitschige Rückblicke auf kindliche Sommererlebnisse zeigen sich im Kopfkino nicht in Bildern von Eiscreme, Strand und Meer: In ruhigen Momenten nisten sie sich in Form einer Erinnerung an herrlich grässlich braun-orange gepolsterte Sitzbänke im Gehirn ein. Dieses unvergleichliche Muster ziert seit den Siebzigerjahren die Bänke und Betten von Opas Wohnwagen, der jährlich für zwei Sommerwochen zur Heimat wurde. Plastikgeschirr, muffiger Geruch und knarrende Türen wurden zu Symbolen der Freiheit. Dort konnte sich der müde Kinderkörper nach einem Tag in der Sonne in die durchgelegene Polsterung fallen lassen, den Hagelkörnern lauschen und von den Abenteuern träumen. Schmerzlich vermisst werden Momente wie diese immerfort. Trost spendet: Im Garten der Tante lebt der rostige, heute nicht mehr fahrtüchtige Wohnwagen weiter und bietet den jungen Cousins Freiheit als Rückzugsort.

Von Teresa Guggenberger

5.

Die glatt polierten Holzstäbe in den Händen, sie suchen sich wie von selbst die richtige Position zwischen den Fingern. Unter den nackten Fußsohlen das kalte Metall – weil man das immer schon so gemacht hat. Ein Spleen, seit fast 30 Jahren. Direkter, unmittelbarer, der Rücklaufkanal für die Vibration. Ringsherum poliertes Chrom, silbern glänzend, dazu schwarzes Vinyl, in dem sich die Neonlichter spiegeln. Einst waren die Kessel wie eine Burg, aus der der Dreikäsehoch kaum hinaus blicken konnte, man ist gewachsen, aber der Faszination nicht entwachsen. Das durchsichtige Plastik der Felle ist porös geworden in den Jahrzehnten, kleine Dellen zeugen von durchgeübten Sommernachmittagen im abgedunkelten Zimmer, von frühem Ungestüm, später von jugendlichem Zorn auf die Welt. Der erste Lockdown weckte die Erinnerung an das staubige Schlagzeug am Dachboden der Eltern, der zweite holte es herab. Und seit dem Dritten ist es wieder voll da: als lautstarke Komfortzone.

Von Thomas Cik

4.

Februar 2020, die letzte Unterkunft vor einer langen Reisepause. Der Ausblick von meinem Bett in der Casa Cavoquinho durchs Fenster ins grüne Paúl-Tal auf der kapverdischen Insel Santo Antão hat mir über jeden einzelnen Lockdown geholfen. Lichtete sich der Nebel, konnte man mit den Augen die volle Üppigkeit des Garten Edens abtasten: den Blick über Papaya-, und Mangobäume, Guaven- und Kaffeesträucher, im Wind tanzende Gräser, gezackte Berggipfel, Zuckerrohr-Plantagen oder Brotfruchtbäume schweifen lassen. Zur Ruhe kamen die Augen dort, wo sie es am liebsten tun: am ozeanblauen Horizont. Es dauerte morgens stets, sich von diesem Natur-Panorama zu lösen. Was hätte man versäumt! Schulkinder bei der Morgengymnastik, einsame Wege zu Kratern oder frisch gebrühten Kaffee. Am besten: Obwohl es auf Schritt und Tritt raschelte, war man sicher: Es werden keine Schlangenmeldungen folgen.

Von Julia Schafferhofer

3.

Samarkand, Mandalay, Valparaiso: Die auffällige Häufung des Buchstaben A in den Namen der am allerschönsten und allerexotischsten klingenden Sehnsuchtsorte scheint noch zu wenig erforscht. Dass manchmal der Ort selbst mit seinem klingenden Namen gar nicht so richtig mithalten kann, stellt sich freilich erst vor Ort heraus. In Samarkand hat uns der Seidenstraßen-Zauber am Registan-Platz nur kurz abgelenkt – vom ziemlich unerfreulichen Zusammentreffen von argem Durchfall bei ausschließlich ganz fürchterlichen Subsubstandard-Toiletten rundherum. Das „Paradies-Tal“ Valparaiso besticht eher durch Graffiti- und Containerschiffhafen-Charme (eh auch cool). Und das so unwiderstehlich klingende Mandalay soll bei unerträglicher Hitze hauptsächlich von hoch aggressiven Gelsen bevölkert sein. Egal, ich versuch’s weiter. Vielleicht halt jetzt in Ampflwang, Laa an der Thaya oder Gralla.

Von Nina Müller

2.

Wie be­geis­tert man Land­kin­der für einen Fle­ckerl­tep­pich aus Wald­grund­stü­cken? Indem man ganz bei­läu­fig, fast ge­lang­weilt er­wähnt: Eine Insel ge­hört auch dazu. Insel, DER Trig­ger­be­griff dafür, dass das Dreh­buch für das Kopf­ki­no kom­plett aus dem Ruder läuft. Auf dem Weg zur Insel über­schlu­gen sich die Ge­dan­ken­spie­le: lieb­lich in­mit­ten eines plät­schern­den Bäch­leins ge­le­gen, ein guter Mix aus Sand- und schil­lern­dem Stein­strand. Zu­min­dest zehn noch un­ent­deck­te Tier­ar­ten, bo­ta­ni­sche Wun­der son­der Zahl. Das Was­ser mit mil­der Tem­pe­ra­tur und Lia­nen in ver­nünf­ti­ger Länge. Das reale Auf­ein­an­der­tref­fen war die Hölle, die grüne Hölle. Das Plät­schern des Bäch­leins wurde vom ner­vi­gen Sur­ren der Gel­sen über­tönt, die Brenn­nes­seln manns­hoch, ein Durch­kom­men un­mög­lich. Die „Insel“ ist bis heute un­er­forscht, aber wir we­cken seit­dem gerne bei an­de­ren neid­vol­le Bli­cke: Wir haben üb­ri­gens eine ei­ge­ne Insel! Und wech­seln dann ganz bei­läu­fig das Thema – um das Kopf­ki­no der an­de­ren nicht zu stö­ren.

Von Susanne Rakowitz

1.

Als Bet­tel­stu­den­ten be­reis­ten wir einst die Schweiz: nicht Fünf­stern Su­pe­ri­or, son­dern Schlaf­sack, Zelt und Kof­fer­raum. So was ging da­mals noch. Ir­gend­wer riet uns: Die Verz­as­ca müsse man sehen, jenen un­ge­zähm­ten, sma­ragd­grü­nen Fluss im Tes­sin. Dort könne man nicht nur baden, son­dern sich im ra­sen­den Stru­del durch grund­los tiefe Ge­steins­kes­sel trei­ben las­sen. Das sei harm­los, man lande fluss­ab­wärts im Flach­was­ser. Ge­sagt, getan: An einem Mär­chen­nach­mit­tag spran­gen wir Dut­zen­de Male in die rei­ßen­den Flu­ten, kos­te­ten die to­sen­de Gischt die­ser Ge­steins­müh­le aus und wärm­ten uns wie die Ech­sen auf son­ni­gen Fel­sen. Tags dar­auf las ich im ört­li­chen Wo­chen­ma­ga­zin Düs­te­res: Die Verz­as­ca sei eine To­des­fal­le, ihre Stru­del un­er­gründ­lich, die Op­fer­zah­len hoch. Leicht­sinn, Dumm­heit, Gnade? Hätte ich das frü­her ge­le­sen, wir wären wohl nie hin­ge­fah­ren. Doch jene sorg­lo­sen, rausch­haf­ten Stun­den im wil­den Fluss haben sich tief ein­ge­fräst ins Glücks­ge­dächt­nis. So wie das Was­ser ins Tes­si­ner Ge­stein.

Von Ernst Sittinger