ie haben ein Urvertrauen in die Zukunft, wollen mitreden, fühlen sich aber nicht gehört. Das Politinteresse unter Jugendlichen sinkt, gleichzeitig steigt das soziale Engagement. Georg Krierer und Christopher Probst sind keine biederen Strebertypen, die aufgeschnappte Argumente altklug rezitieren. Wahrscheinlich sind die beiden Schüler des BG/BRG Klusemann sogar eher von der Sorte Jugendlicher, die von Erwachsenen gerne unterschätzt, ja übersehen wird. Nicht nur im politischen Diskurs. Georg trägt Nike-Sneakers, die einmal weiß waren und Dad-Jeans. Kurz: Streetstyle mit leichtem Badboy-Touch. Der 19-Jährige möchte Journalist werden, hat ein Faible für Kurztexte und sogar ein Buch verfasst.
Christopher (18) trägt Trainingshose und Cap. Kurz: sportlich, aufmüpfig. Sein Berufswunsch: Lehrer. Warum die Oberflächlichkeiten? Ganz einfach: Weil im Unterbewusstsein der Erwachsenenwelt Jugendliche wie Georg und Christopher gerne kategorisiert und übergangen werden. Dabei wirken sie in ihren Antworten besser als so manch Erwachsener gerüstet für die Irrungen und Wirrungen dieser Welt.
So locker sie wirken, so sattelfest sind sie hingegen in ihrer Weltansicht. Georg und Christopher setzen auf Altbewährtes. „Politik ist mir wichtig. Printzeitungen oder Zeit im Bild sind vertrauenswürdige Quellen. Dort informiere ich mich über das Tagesgeschehen am liebsten“, so Georg.
In ein ähnliches Horn stößt die deutlich jüngere Lisa Legenstein, die die HTL Zeltweg besucht. „Die Zeit-im-Bild-Beiträge auf TikTok sind praktisch. Wenn eine Pressekonferenz ansteht, streame ich das auch am Handy“, so die 16-Jährige. Einer einzigen Partei sieht sie sich nicht verbunden.
„Ich glaube, keiner würde sich heute einen Tipp abgeben trauen, wer nächste Woche Bundeskanzler in Österreich ist“, sagt Christopher augenzwinkernd. Sensibel beleuchtet er die politische Lage der letzten Monate und führt folgenden Gedanken ins Feld: „De facto haben wir momentan einen Bundeskanzler, der nicht gewählt wurde.“
Skeptischere Töne schlägt hingegen Antonio (15), ebenfalls von der HTL Zeltweg an. „Wir können die Politik nicht wirklich beeinflussen. Deshalb interessiere ich mich auch nicht dafür“, sagt er. Er gehört damit zu jenen 52,7 Prozent, die sich laut der Jugendstudie 2021 nicht für politische Ereignisse erwärmen können.
Was die aktuellen Zahlen zeigen: Das politische Interesse ist in den letzten vier Jahren weiter gesunken. Nur 64,4 Prozent der Befragten wollen bei der nächsten Wahl eine Stimme abgeben. 2017 waren es noch 71,5 Prozent. Ebenfalls alarmierend: 19,9 Prozent der Jugendlichen stünden einem Alleinherrscher positiv gegenüber. Bei Poly-Schülern (33,5 Prozent) und Lehrlingen (23,8 Prozent) ist dieser Wert übrigens höher als bei Schülern der BMHS (12,6 Prozent) und AHS (9,7 Prozent).
„Man fühlt sich auch nicht wirklich ernst genommen von Politikern. Unsere Generation hat Fridays for Future und Black Lives Matter auf die Beine gestellt. Trotzdem werden wir eigentlich nur besänftigt“, beklagt Lisa die Mühlen der Demokratie und liefert damit eine mögliche Erklärung für das Studienergebnis.
Für Studienautor Christian Ehetreiber bilden die Ergebnisse der jüngsten Erhebung eine diffuse Gemengelage ab. Sowohl das Europa-Verständnis als auch das soziale Engagement seien deutlich angestiegen.
Dass die generelle Politikverdrossenheit dennoch zunehme, erklärt Ehetreiber so: „Junge Menschen reagieren sehr empfindlich auf Schwurblereien. Auch wollen sie unmittelbar Fortschritte sehen. Die langsame Bürokratie und fehlende Anlaufstellen sind ihnen lästig“, so Ehetreiber. Die Agora des Austauschs ist für die Jugendlichen keineswegs das Internet. Shitstorms und Kommentare unter Online-Postings? Nein danke. Das überlassen die Jungen lieber den älteren Semestern.
Der Grundtenor: „Kommentarspalten sind pure Comedy“. Umso wichtiger ist den Schülern der reale Austausch. Georg schwärmt über seinen Klassenvorstand, der das Gespräch auf Augenhöhe über tagespolitische Ereignisse immer wieder suche. Wie wichtig die Lehre abseits des vorgegebenen Stoffkanons für das Selbstwertgefühl der Jungen ist, bringt einmal mehr Christopher mit seiner spitzen Zunge zum Ausdruck: „Nur so kann ich meine Fehler erkennen. Wenn nur ich rede, denke ich nicht über meine Worte nach. Wenn gemeinsam über etwas gesprochen wird, beginne ich zu reflektieren und zu hinterfragen“, erklärt der Maturant.
Was die Studie außerdem zeigt: Jugendliche sind von ihrer Autonomie überzeugt, glauben an die Selbstheilungskräfte der Zukunft, selbst wenn diese durch Corona unwegsam scheint.
Am sichersten fühlen sich Lehrlinge. „Es wird oft unterschätzt, wie positiv sich eine Lehrausbildung auswirkt. Sowohl bei der Einschätzung der eigenen Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern, wie auch bei der selbst zugeschriebenen Autonomie“, betont auch der steirische Wirtschaftskammer-Präsident Josef Herk.
„Ich bin selbstständig, arbeite im Büro und habe eine eigene Wohnung. Diese Freiheit ist mir wichtig“, betont die HTL-Schülerin Lisa.
Auch Georg, Christopher, Lisa und Antonio blicken positiv in die Zukunft. Ein kleines „aber“ gibt Christopher zu bedenken: „Ich bin in meinem Denken autonom, aber sonst so gar nicht selbstständig. Ich kann keine Wäsche waschen und nicht kochen.“
enn seine Oma ihm von der zwei Meter dicken Schneedecke im Winter in den 1970ern erzählt, und er dann an die „wenn überhaupt 20 Zentimeter Schnee“ der vergangenen Jahre denkt, dann macht sich Daniel Knauß Sorgen. Den 17-jährigen Stahlbautechnik-Lehrling beschäftigt der Klimawandel. „Es ändert sich viel“, stellt er fest und erwähnt auch die Murenabgänge in der Obersteiermark – dort, wo er mit seiner Familie wohnt.
Wie Daniel geht es laut der steirischen Jugendstudie rund 72 Prozent der Jugendlichen in der Steiermark. Sie halten den Klimawandel für ein (sehr) großes Problem. Knapp fünf Prozent sehen ihn nicht problematisch. Markante Unterschiede zeigen sich zwischen den Geschlechtern.
„Unter Schülerinnen ist deutlich mehr Bewusstsein für die Problematik des Klimawandels vorhanden als unter Schülern“, heißt es in der Studie. Während rund ein Prozent der jungen Frauen den Klimawandel für kein Problem halten, sind es bei den Burschen knapp acht Prozent. 80 Prozent der Schülerinnen sehen ein großes Problem, bei den Schülern sind es 63 Prozent.
Janine Kienreich erklärt sich das so: „Frauen haben mehr Verantwortungsbewusstsein.“ Die 18-Jährige meint, dass die Burschen nicht so gern verzichten würden und weniger über ihre Zukunft nachdächten. Janine sorgt sich vor allem um die Tier- und Pflanzenarten, die aufgrund des Klimawandels aussterben.
Auch „dass der Regenwald niedergerodet wird, um Tierfutter anzubauen, damit wir Rindfleisch in großen Mengen importieren können“, sieht Kienreich nicht ein. Die Berufsschülerin achtet im Alltag besonders im Geschäft darauf, dass sie nur einkauft, was sie auch wirklich braucht. „Vieles ist einfach Ressourcenverschwendung“, findet sie.
Der mit Abstand größte Anteil der knapp 2000 befragten Jugendlichen fährt mit Öffis in die Schule (42,6 Prozent), 14,6 Prozent mit dem Moped. 11,7 Prozent fahren schon selbst mit dem Auto, weitere 14,7 sind Mitfahrer im Pkw. 8,4 Prozent gehen zu Fuß, 5,7 Prozent nutzen das Fahrrad. Große Unterschiede gibt es hier naturgemäß je nach Alter, aber auch nach Region. In der Südoststeiermark wird das Moped überdurchschnittlich häufig genutzt, im Zentralraum Graz sowie im Mürztal die Öffis.
Als Lehrling, der am Land wohnt, stößt auch Kienreich in puncto umweltfreundliche Verkehrsmittel schnell an ihre Grenzen. „Ich komme aus der Südoststeiermark. Den Diesel kann man da nicht einfach weglassen, wir haben fast keine E-Tankstellen.“ Die Öffis sind nicht wirklich eine Option: „Es fährt gerade einmal ein Bus am Tag und der fährt dorthin, wo du nicht hinwillst.“ Also ist Janine mehr oder weniger aufs Auto angewiesen. Ihren späteren Lebensmittelpunkt sieht sie dennoch am Land. „Die Natur spielt eine große Rolle, wenn ich mir meine Zukunft vorstelle.“
Nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen den Schultypen gibt es deutliche Unterschiede in der Einschätzung des Klimawandels als Bedrohung. So finden sich etwa in Lehrberufsschulen 15 Prozent, die den Klimawandel für kein oder nur ein kleines Problem halten, in den AHS liegt der Anteil bei unter drei Prozent.
Also sorgen sich Gymnasiasten ums Klima, Lehrlinge nicht? Im Gespräch mit Jugendlichen lässt sich der Schluss nicht bestätigen. Während Stahlbautechniker Daniel seine Sorgen durchaus offen zeigt – vor allem die große Zunahme an Naturkatastrophen macht ihm Angst –, gibt Christopher Probst (18) vom BG/BRG Klusemann unumwunden zu: „Ich habe mich in meinem Leben vielleicht zehn Minuten mit dem Klimawandel beschäftigt.“
Der Blick der Studienteilnehmer in die Zukunft ist übrigens durchaus düster: Auf die Frage, ob die Menschheit die Probleme, die der Klimawandel verursacht, bewältigen werde können, antworteten nur rund 38 Prozent der Befragten in der Jugendstudie, dass sie voll oder zumindest ziemlich überzeugt davon sind. Die Mehrheit (52 Prozent) ist wenig bis überhaupt nicht überzeugt.
Maturant Georg Krierer ging schon mit „Fridays for Future“ auf die Straße. Im Nachhinein gibt er sich aber relativ ernüchtert. „Sicher, die Politik hat von uns Jugendlichen aufgrund der Masse Notiz genommen – nur: Was hat es gebracht? Meiner Meinung nach leider wenig.“
„Generell wird es wärmer, wir brechen jedes Jahr unseren Hitzerekord in Österreich“, erklärt indes Daniel Knauß seinen Pessimismus. Ich glaube eher nicht, dass wir das hinkriegen. Wir hätten schon viel früher etwas tun sollen.“ Zumal auch die Coronakrise das Thema in den Hintergrund gerückt hat.
Den Unmut der Jugendlichen kann Alexandra Nagl vom Bildungsressort des Landes Steiermark verstehen. „Sie machen sich zurecht Sorgen.“ Sie setzt darauf, die jungen Steirerinnen und Steirer über den Klimawandel und Themen wie Nachhaltigkeit zu informieren – „zum Beispiel in Jugendzentren“. „Die Jugendlichen haben Macht, sie konnten mit der Bewegung schon etwas bewirken“, ist Nagl überzeugt. Dass das Thema nun so auf der Agenda ist, sei den Jungen zu verdanken. Jetzt müssten sie aber auch von der Politik ernst genommen und gehört werden, sagt Nagl. Im Bildungsressort arbeite man daran, Jugendliche zu beteiligen, etwa im Projekt „beteiligung.st“.
ie Party ist vorbei. Oder wegen Corona abgesagt. Doch steirische Jugendliche blicken überraschend positiv in ihre (berufliche) Zukunft – für die Gesellschaft sehen sie aber eher schwarz. Keine Frage, die letzten Jahre waren für Jugendliche eine Achterbahnfahrt – ohne Rummelplatz. Die psychische Belastung einer zwischen Homeschooling und amtlichem Partyverbot hin und her gebeutelten Generation ist durch Studien vielfach bestätigt. Oder wie es der 18-jährige Fehringer Alexander Kniely ausdrückt: „Einige meiner Freunde haben in der Pandemie das Funkeln in den Augen verloren.“
„Doch wie schon nach der Wirtschaftskrise überraschte uns, dass der Großteil der jungen Steirerinnen und Steirer trotz zwei Jahren Pandemie so positiv in die persönliche Zukunft schaut“, sagt Mitautor Christian Ehetreiber zur Studie.
„Ich glaube fest an meine Zukunft“, lässt Georg Krierer (19) auch zwischen den Zeilen keine Zweifel aufkommen, „weil ich bisher die Erfahrung gemacht habe, dass ich das schaffe, was ich will“. Beispiel gefällig? Der Maturant der BG Klusemann hat mit seiner Klasse wenige Tage vor dem Lockdown einen Maturaball durchgezogen – trotz Maskenpflicht.
Was die eigene Ausbildung betrifft, so überwiegend bei den Jugendlichen der Optimismus bei Weitem – 91 Prozent der Befragten sind damit aktuelle sehr oder eher zufrieden.
Insgesamt 91,3 Prozent der befragten 1949 jungen Frauen und Burschen ab 13 Jahren zeigen sich nach wie vor zuversichtlich, was die eigene Zukunft betrifft. Wobei sich männliche Befragte optimistischer zeigen, was die Erfüllung ihrer Berufswünsche angeht (89,4 Prozent) als die weiblichen (77,9 Prozent).
In den Worten junger Steirerinnen und Steirer klingt das so: „Der Glaube an mich hat mich bisher gut durchs Leben getragen“, spricht Maturant Christopher Probst (18) motivationstrainertauglich. An seinem Plan, Lehrer zu werden, hat Corona nichts geändert. Am Zeitplan schon: „Ich will vor dem Studium als Animateur in Ferienklubs arbeiten. Da kann ich bei Partys einiges von den versäumten Jugendjahren nachholen.“ Indes hat Corona am Jobwunsch von Ursulinen-Schülerin Valentina Krippel (15) nichts geändert. Im Gegenteil: „Ich will nach wie vor Ärztin werden, weil ich Menschen helfen will.“
Für Fahrzeugbau-Lehrling Sebastian Feldhammer (18) hingegen ist wichtig, dass es „auch in ländlichen Regionen gute Jobs gibt“, weil er auch künftig im Mariazeller Raum leben will.
Unterschiedliche Erfahrungen haben junge Frauen mit einer Lehre in technischen Berufen gemacht. Selina Walchhütter (17) zum Beispiel würde nicht noch einmal eine Lehre als Schmiedetechnikerin machen, sondern strebt künftig einen Büro-Job an. Aber nicht wegen der Arbeit, sondern weil sie als Frau in einem „Männerberuf“ nicht immer die besten Erfahrungen gemacht hat. „Da wird man gleich nach der Telefonnummer gefragt.“
Anders ergeht es Janine Kienreich (18), die eine Lehre zur Stahlbautechnikerin macht. „Ich merke von sexistischen Bemerkungen überhaupt nichts, in meiner Firma werde ich als gleichberechtigte Mitarbeiterin behandelt.“ Das heißt aber auch: Anpacken! „Selbst beim Eisentragen wird kein Unterschied gemacht.“
Festgefahrene Geschlechterrollen treffen auch Burschen. „Such dir einen Männerjob. Warum bist du im Büro?“, hat Alexander Kniely, Verwaltungsassistent-Lehrling in der Justizanstalt Jakomini schon mehrmals gehört. Später will er einmal zur Polizei. Auch daran hat Corona nichts geändert. Im Gegenteil.
Dass mit 50,6 Prozent deutlich weniger junge Frauen nach Lehrabschluss fix in ihrem Beruf bleiben wollen als Burschen (71,8 Prozent), hängt laut Barbara Huber, Leiterin der Abteilung Jugend und Lehrausbildung in der Arbeiterkammer, auch mit der Berufswahl bzw. der Vereinbarkeit von Job und Familie zusammen. „Junge Frauen wählen noch immer häufiger Berufe, die oft auch schon weniger geregelte Arbeitszeiten und kollektivvertraglich geringere Bezahlung aufweisen.“
Dass die Meinung der Eltern in der Bildungswahl junger Menschen auch laut Jugendstudie deutlich mehr Einfluss hat als etwa Berufsberatung, ist laut Huber Auftrag, „dass man mit der Berufsorientierung nie früh genug beginnen kann und man am besten schon in der Volksschule auch die Eltern mit ins Boot holt.“ So gelinge es am besten, festgefahrene Rollenbilder und mögliche spätere Hürden im Job „gar nicht erst entstehen zu lassen“.
Für die Gesellschaft sieht übrigens fast jeder zweite junge Steirer, anders als beim Blick in die persönliche Zukunft, schwarz. 47,2 Prozent zeigen sich (eher) nicht zuversichtlich, wie es mit dem großen Ganzen weitergeht, da stieg die Skepsis im Vergleich zu früheren Studien. Für Studien-Mitautor Ehetreiber „ein Indiz, dass Jugendliche dort optimistischer sind, wo sie den Lauf der Dinge selbst stärker beeinflussen können“.
Die 6. Steirische Jugendstudie der Arge Jugend gegen Gewalt und Rassismus und der Sozialforschung x-sample wurde in Projektpartnerschaft mit der Arbeiterkammer, Bildungsdirektion, dem Bildungsressort Land Steiermark, Jugendressort Stadt Graz sowie der Wirtschaftskammer durchgeführt.
Ulrich Dunst, Anna Stockhammer und Julian Melichar von der Steiermark-Redaktion der Kleinen Zeitung haben das 186 Seiten starke Studienpapier unter die Lupe genommen und den Zahlen in vertiefenden Interviews mit 17 Jugendlichen aus der ganzen Steiermark ein Gesicht gegeben. Zusammen mit Fotos von Jürgen Fuchs, Grafiken von Silke Ulrich und Videos von Marion Mayr sowie Alexandra Windisch vom Social-Media-Team hat Jonas Pregartner das Paket in diesem Dossier zusammengefasst.