Sie blicken überraschend positiv in die Zukunft, sehen aber für die Gesellschaft und das Klima eher schwarz, und jeder zweite Jugendliche interessiert sich nicht mehr für Politik. Das geht aus der 6. Steirischen Jugendstudie hervor – die für die Kleine Zeitung Anlass für diese mehrteilige Serie ist. Wir haben mit jungen Steirerinnen und Steirern gesprochen, was sie bewegt, wie sie ticken, wie sie mit Gewalt, Alkohol und Drogen umgehen, wie sie leben und was sie so vom Leben erwarten.
o richtig ins Nachtleben eintauchen, konnte Leah Zarfl nie. Zuerst war sie zu jung, dann waren die Clubs zu. „Ich habe alles, was gegangen ist, ausgenutzt. Aber viel ging nicht“, sagt die 16-Jährige, die die Bafep Bruck besucht. Sie blickt – wie alle Jugendlichen – auf zwei Jahre zurück, in denen größtenteils gesetzliches Partyverbot galt – und immer noch gilt.
Experimentieren, sich fallen lassen, die eigenen Grenzen austesten – alldem zog die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Mit wenigen Ausnahmen. Wehmütig denkt Cecilia Steyer (17) an die Zeiten im Sommer, als die Jungen sich im Grazer Stadtpark trafen, um zu feiern. „Da hat man richtig gemerkt, man braucht das: Endlich wieder einmal Spaß haben“, sagt die Schülerin.
Fällt das Wort Party, ist das Wort Alkohol nicht weit. Wobei fast 50 Prozent der Jugendlichen laut der steirischen Jugendstudie fast nie welchen trinken.
Was die Jungen von den Altersgrenzen im Jugendschutzgesetz halten? Die passen, meint Julia Holzer (16). „Klar trinkt jeder schon, bevor er offiziell darf. Aber es ist trotzdem ein Schutz, wenn ich in einer Disco erst mit 16 Jahren Alkohol bekomme, anstatt mit 14.“ Davon, die Altersgrenze nach oben zu schieben und jeglichen Alkohol erst ab 18 zu erlauben, hält die Schülerin nichts. Den Ergebnissen der Studie zufolge gehört sie damit zur Mehrheit. 51 Prozent sind gegen eine höhere Altersgrenze.
Julia erklärt: „Der erste Rausch, das erste Entfalten, das gehört zu unserer Jugend dazu. Mit 18 ist man quasi erwachsen, da hat man nicht mehr so viel davon.“
Leah befürchtet, dass, wenn die Grenze höher werde, noch mehr Jugendliche illegal und unkontrolliert im Privaten trinken. „Wenn man etwas nicht darf, dann mag man es mehr“, fasst Tobias Blumrich (17) zusammen. Er verbindet mit Jugendschutz vor allem Verbote.
Mario-Carl Wünsch, der zuständige Beamte des Landes sieht das anders: „Aus jugendschutzrechtlicher und auch aus medizinischer Sicht, ist es sinnvoll die Altersgrenze bei Alkohol anzuheben.“ Der Jugendschutz ist Ländersache, mit 2019 wurden aber wichtige Regeln österreichweit einheitlich. Unter 16 Jahren ist Alkohol untersagt, von 16 bis 18 Jahren sind Bier und Wein erlaubt. Tabak ist für unter 18-Jährige verboten (zuvor lag die Grenze bei 16 Jahren). Sowohl Wünsch als auch Landesrätin Juliane Bogner-Strauß vom Bildungsressort des Landes sagen, dass es sinnvoll wäre, nach dem Rauchen auch beim Trinken nachzuschärfen, also Alkohol erst ab 18 zu erlauben. Die unterschiedlichen Altersgrenzen ließen sich schwer erklären. Die Gesetzesänderung solle, wenn dann aber bundesweit einheitlich passieren.
Mehr Thema als der Alkohol ist unter seinen Mitschülern aber Cannabis, sagt Alexander Braun (15), der die Ursulinen besucht. Jeder fünfte Jugendliche (21 Prozent) hat schon einmal Cannabis konsumiert, zeigt die Jugendstudie. Durchschnittlich sind die Steirerinnen und Steirer 15 Jahre alt, wenn sie die Droge das erste Mal probieren.
„Ich kenne ein paar Leute, die selber Cannabis nehmen und auch welche, die in meinem Alter schon dealen“, erzählt Alexander. Und auch Leah berichtet davon, wie einfach es sei, an „Gras“ zu kommen.
Auch Julia berichtet, es sei normal, dass man beim Fortgehen am Nebentisch sieht, dass „etwas genommen wird“. Sie schätzt Cannabis als potenzielle Gefahr ein. Schließlich sei Alkohol schon so gesellschaftlich akzeptiert, dass man die Auswirkungen kennt. „Bei anderen Drogen unterschätzen das viele.“ In der Diskussion rund um die Legalisierung von Cannabis, zeigt sich Cecilia reflektiert. Einerseits fiele der Reiz des Verbotenen weg. „Andererseits haben mehr Leute Zugang dazu, wenn es legal ist“, überlegt sie und wirft die Idee einer Altersgrenze ein.
Vonseiten der Schule fühlen sich die Jungen im Stich gelassen. „Alles wird totgeschwiegen“, sagt Julia. „Der ganze Drogenkonsum wird verdrängt“, meint Cecilia. Sie wünscht sich Aufklärung, und schlägt eine Drogenberatung pro Schule vor, bei der man sich anonym melden kann. „Mir kommt es so vor, als würden viele aus der Sucht raus wollen, aber sie haben keine Chance.“
Jugendlandesrätin Juliane Bogner-Strauß gibt zu: „Cannabis ist eine Herausforderung.“ Sie kündigt an, dass Drogen künftig an Schulen größeres Thema werden sollen: Neben Kursen für Lehrer, die Vivid, die Fachstelle für Suchtprävention, macht, will man ab diesem Jahr ein neues Projekt fördern, dass Drogenberatung mittels Workshops an Schulen bringt.
Generell sehen die Jugendlichen aber im Schulunterricht noch großen Nachholbedarf. Wichtiges werde ausgelassen, sagt Julia. „Viele Thematiken, die uns jetzt betreffen, gehören angesprochen und diskutiert, egal ob Drogen, Corona, Sexismus, Gendern oder Politik. Da sind wir auf uns gestellt und sollen uns das selbst beibringen – ohne dass wir Informationen bekommen, von Leuten, die sich auskennen.“
Cecilia stimmt zu. „Das ist viel wichtiger als so manche Bücher von toten Schriftstellern.“ Statt „Bulimielernen“, also dem schnellen Lernen für Tests, nur um kurz darauf, den Stoff wieder zu vergessen, „wollen wir fürs Leben lernen“, sagen Julia und Cecilia.
obbing, Hass im Netz, Rassismus, physische Übergriffe, sexuelle Belästigungen. Sarah Brandner (18), Alex Kniely (18), Isaak Liwaka (16) und Oskar Tischler (15) haben mit all diesen Formen von Gewalt auf die eine oder andere Art Erfahrung gemacht, sie oft selbst erlebt. Sie sind nicht die einzigen.
Rassismus steigt, die Akzeptanz gegenüber Zuwanderern aber auch. Bei Ausgrenzung und sexistischer Gewalt zeigen sich Jugendliche hochsensibel und nehmen auch ihre Eltern in die Pflicht.
Im Vergleich zur Jugendstudie 2017 haben nun deutlich mehr Junge mit Migrationshintergrund angegeben, in ihrem Leben bereits Opfer von Rassismus gewesen zu sein. Rund 40 Prozent wurden aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert, 2017 waren es mit 22,6 Prozent fast halb so viele.
An seine Schulzeit erinnert sich Isaak nicht gerne zurück. Seine Worte wählt er zögerlich, mitunter haucht er einzelne Satzfetzen nur leise in den Raum, als hätte er Angst, damit die Vergangenheit aufzuwecken. „Rassistische Äußerungen schlichen sich nicht langsam in den Sprachgebrauch. Sie waren sofort da“, erzählt der Lehrling. Am Anfang stand das N-Wort. Es wurde zum festen Bestandteil im Klassenzimmer. Hämisches Gift für den schulischen Nährboden des heranwachsenden Jugendlichen. Doch Isaak hielt durch, brach die Schule nicht ab. Heute arbeitet der Lehrling in einem Möbelgeschäft, besucht die Berufsschule. „Alles hat sich verändert. Ich fühle mich dort wohl und werde nicht mehr ausgeschlossen“, sagt er.
„Die Zahlen der Jugendstudie zeigen, dass die von uns initiierten Projekte und Unterstützungssysteme nach wie vor wichtig sind, damit Toleranz und Wertschätzung gegenüber allen Mitmenschen gefördert wird“, betont Jugendstadtrat Kurt Hohensinner (ÖVP).
Dass Isaak vor allem auf seinem frühesten Bildungsweg mit rassistischer Gewalt konfrontiert war, mag verwundern. Tatsächlich zeichnet die Jugendstudie aber ein ähnliches Bild. Situationen, in denen Stärkere auf Schwächere losgehen, nehmen mit zunehmendem Alter der Schüler ab. Die achte Schulstufe verzeichnet mit 39,4 Prozent die höchste Rate an Übergriffen.
Die 18-jährige Sarah von der LBS Mitterdorf hakt ein: „Das Problem ist das Elternhaus. Junge Menschen verlassen sich auf die Meinung von zu Hause“. Auch Sarah, sie hat tschechische Wurzeln, hatte mit Ablehnung und Ausgrenzung zu kämpfen. „Man wird automatisch in eine Schublade gesteckt“, sagt sie.
„Das Empfinden unserer jungen Menschen ist ein realistischer Befund. Erwachsene sind Vorbilder, daher muss der erste Ansatz gegen rassistische Übergriffe ein Beitrag jedes österreichischen Bürgers zum friedlichen Miteinander sein“, betont Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner.
„Rassismus zeugt von mangelnder Intelligenz“, hält der Lehrling Alexander fest: „Viele wissen nicht einmal, dass es zwischen IS und Islam einen Unterschied gibt.“
Was in der Jugendstudie auffällt: Auch wenn Gewalt- und Rassismus-Erfahrungen steigen, nimmt das friedliche Miteinander zu. Für 61,3 Prozent der Befragten sind Zuwanderer gut für die Gesellschaft. Dieser Wert ist nun deutlich höher als in der letzten Studie 2017 – direkt nach der Flüchtlingskrise.
Doch Mobbing muss nicht nur einen rassistischen Hintergrund haben, bestätigen Alexander und Oskar. „Ich war dick, mit mir konnte man sprichwörtlich Fußball spielen“, erzählt Ersterer. Stattdessen fing er mit Kampfsport an. Nicht, um selbst Gewalt anzuwenden, sondern um sich zu stärken. Psychisch und physisch. Dass sich Ausgrenzung nicht nur laut, sondern auch leise und unscheinbar vollzieht, schildert Oskar Tischler vom BG/BRG Ursulinen: „Ich weiß nicht, ob das Mobbing ist, aber für meine Klamottenwahl wurde ich manchmal belächelt. Da verschwimmt Spaß und Ernst“, erzählt er.
Sexualisierte Gewalt wiederum, über die in der Erwachsenenwelt nach wie schleppend gesprochen wird, thematisieren die Jugendlichen mit Nachdruck. Angesprochen auf Belästigungen und Frauenmorde, reagieren sie sensibel. „Ja, ich nehme Sexismus war. Beim Fortgehen und im Internet“, erzählt Julia Holzer (16) von der Bafep Bruck. „Man verdreht einfach die Augen. Es ist normal geworden“. Cecilia Steyer (17) bestätigt: „Man fühlt sich unwohl, man fühlt sich beobachtet, es gibt einem ein ungutes Gefühl.“
„Begrapschen, beleidigen, ja, das erleben wir“, so Sarah. Wie eine Antwort darauf lauten könnte? „Einschreiten, die Täter zur Rede stellen. Nicht wegschauen. Dieses Ungleichgewicht endlich aus dem Weg räumen“, fordert Alex Zivil- und Eigencourage ein.
Die 6. Steirische Jugendstudie der Arge Jugend gegen Gewalt und Rassismus und der Sozialforschung x-sample wurde in Projektpartnerschaft mit der Arbeiterkammer, Bildungsdirektion, dem Bildungsressort Land Steiermark, Jugendressort Stadt Graz sowie der Wirtschaftskammer durchgeführt.
Ulrich Dunst, Anna Stockhammer und Julian Melichar von der Steiermark-Redaktion der Kleinen Zeitung haben das 186 Seiten starke Studienpapier unter die Lupe genommen und den Zahlen in vertiefenden Interviews mit 17 Jugendlichen aus der ganzen Steiermark ein Gesicht gegeben. Zusammen mit Fotos von Jürgen Fuchs, Grafiken von Silke Ulrich und Videos von Marion Mayr sowie Alexandra Windisch vom Social-Media-Team hat Jonas Pregartner das Paket in diesem Dossier zusammengefasst.