Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat derzeit einiges an Aufarbeitung zu leisten. Dutzende Beschuldigte von Sebastian Kurz über Wolfgang Fellner, das Ehepaar Eva und Christoph Dichand bis hin zur ÖVP gibt es in den unterschiedlichen Verfahrenssträngen. Ausgangspunkt war die Casinos-Affäre, mittlerweile sind auch vermutete Inseratenkorruption im Boulevard und mutmaßlich illegale Steuernachlässe Thema. Von Beginn an war der redseligste Zeuge der Cloud-Speicher eines Handys, dessen Inhaber Thomas Schmid meinte, mit WhatsApp-Nachrichten die Republik steuern zu können. Aber auch Schmid selbst sagte mittlerweile in der Hoffnung, Kronzeuge zu werden, umfangreich aus.

Wir haben im Herbst 2021 nach Bekanntwerden der Causa einen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte und Chats erstellt und diesen seither immer wieder aktualisiert.

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s ist das wohl interessanteste Objekt in der österreichischen Innenpolitik: das Handy von Thomas Schmid, Ex-Vorstand der Österreichischen Beteiligungs AG (Öbag), ehemaliger Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium und Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von Ermittlungen und politischen Kontroversen. Vermutlich bekommt dieses Handy dereinst einen Platz im Haus der Geschichte Österreich – neben dem USB-Stick, auf dem das Ibiza-Video gespeichert war.

Im Rahmen von Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos gab es im Herbst 2019 auch Hausdurchsuchungen bei Thomas Schmid und der Öbag. Dabei wurde auch Schmids Handy sichergestellt, das sich als wahre Goldgrube für die Ermittler erwies. Schmid hatte – offenbar in intuitiver Vorahnung oder ausgehend von einem Insider-Tipp – das Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und WhatsApp- sowie andere Nachrichten gelöscht, mehr als 300.000 Chatnachrichten konnten jedoch aus dem Cloud-Speicher und von einer externen Festplatte wieder hergestellt werden.

300.000 Nachrichten, von denen bis Anfang Oktober 2021 gerade einmal ein Drittel ausgewertet war. Doch dieses Drittel reichte aus, um eine der größten Staats- und Regierungskrisen der zweiten Republik auszulösen. Fast genau ein Jahr später, am 18. Oktober 2022, wurde zudem bekannt, dass Schmid als Kronzeuge mit der WKStA zusammenarbeiten will.

Die Auswertung dieser Daten hat schon einige für die ÖVP unangenehme Dinge zutage gefördert und letztlich Sebastian Kurz die Kanzlerschaft und die ÖVP-Obmannschaft gekostet. Wir werfen einen Blick auf die politischen Schauplätze, die sich ausgehend von Schmids Handy auftaten.

So wurde Thomas Schmid Öbag-Chef

Ende März 2021 wurden erste Nachrichten öffentlich, die tief blicken lassen, was die Vorgänge rund um die Bestellung Schmids zum Öbag-Vorstand im April 2019 angeht. Ende 2017 saß Thomas Schmid noch in leitender Funktion im Finanzministerium, dürfte aber das Angebot gehabt haben, zum Immobilientycoon René Benko zu wechseln – aber „Sebastian will mich nicht gehen lassen“. Als Generalsekretär im Ministerium war Schmid maßgeblich an der Schaffung seines eigenen, späteren Jobs bei der Öbag beteiligt. So soll er die Stellenausschreibung selbst verfasst und internationale Managementerfahrung aus den Anforderungen gestrichen haben. Am 11. bzw. 12. Dezember 2018 unterhielt er sich etwa mit dem damaligen Finanzminister Gernot Blümel.

Bei der Suche nach Aufsichtsräten soll er sich mit einer Netzwerkerin aus seinem Umfeld beraten haben. Sie sollte Schmid helfen, geeignete – und gesetzlich vorgeschriebene – Frauen für den Aufsichtsrat zu finden. Die schleppende Suche kommentiert sie laut „Presse“ so: „Mir gehen die Weiber so am Nerv. Scheiß Quote“.

<b>Das ist die Öbag</b>

Die Österreichische Beteiligungs AG (Öbag) steuert elf staatliche Beteiligungen im Wert von knapp 27 Milliarden Euro. Dazu gehören unter anderem der Verbund, die OMV, die Telekom Austria, die Post und die Casinos Austria. Eigentümervertreter des Staates ist der Finanzminister. Die Staatsholding wurde 1967 als ÖIG GmbH gegründet und firmierte seither unter verschiedenen Bezeichnungen – ab 2015 dann als ÖBIB GmbH, ab 2019 als Öbag.

Ein Auswertungsbericht der WKStA lässt aber noch tiefer blicken. So soll sich Thomas Schmid in den beiden Wochen vor seiner Bestellung mit fünf der insgesamt neun Aufsichtsratsmitglieder persönlich getroffen haben.  Am Abend vor der Bestellung speiste Schmid laut Standard „familiär und gemütlich“ mit ÖVP-Großspender Klaus Ortner, dessen Tochter kurz davor in den Öbag-Aufsichtsrat bestellt worden war. Die Planung für seinen Chefposten sei dabei „sehr wohl“ von Ex-Kanzler Sebastian Kurz ausgegangen, sagte Schmid gegenüber der WKStA. Damit belastet er den früheren ÖVP-Chef in der Causa einer möglichen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss.

Mit Kurz unterhielt sich Schmid am 13. März 2019 auch über ein berufliches Treffen mit Peter Schipka von der katholischen Bischofskonferenz. Es ging um die Abschaffung von Steuerprivilegien. Dabei wurden auch bemerkenswerte Zwischentöne laut. Ein Thema ist der Umgang mit der katholischen Kirche, und dies im Nahbereich einer Partei, die dieser Kirche traditionell nahesteht. Aber auch die Öbag war in dieser Konversation zwischen Kurz und Schmid Thema.

Der Wechsel vom Finanzministerium zur Öbag brachte für Thomas Schmid allerdings nicht nur Vorteile – so musste er auf seinen Diplomatenpass verzichten –, was er in einer Nachricht an seine Assistentin am 12. März 2019 so kommentierte:

Anfang Juni 2021 musste Thomas Schmid seinen Platz an der Öbag-Spitze nach 805 Tagen im Amt räumen – der Aufsichtsrat der milliardenschweren Holding des Bundes befand den ÖVP-Vertrauten angesichts seiner Chats für unhaltbar, es kam zu einer einvernehmlichen Einigung. In einer Stellungnahme ließ Schmid wissen: „Ich habe mich in diesen privaten Chats in einer Art über Menschen, Organisationen und politische Entwicklungen geäußert, die ich heute bereue. Heute sehe ich klar, dass das falsch und zynisch war. Es tut mir außerordentlich leid, wenn ich damit jemanden verletzt oder verstört habe.“

Das Beinschab-Österreich-Tool

Am 5. und 6. Oktober 2021 wurden schließlich nach mehreren Hausdurchsuchungen neue, noch folgenschwerere Chats bekannt. Auf 104 Seiten zeichnet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein auf zahlreiche Nachrichten gestütztes Szenario, wie ein Zirkel rund um den mittlerweile zurückgetretenen Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Steuerzahlerkosten manipulierte Umfragen in der Zeitung „Österreich“ platziert haben soll.

Schmid unterhielt sich am 27. Juni 2016 mit Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner.

Thomas Schmid, Finanzministeriums-Sprecher Johannes Pasquali, Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin, Meinungsforscherin Sabine Beinschab sowie die Brüder Wolfgang und Helmuth Fellner hätten im Sommer/Herbst 2016 vereinbart – so schreibt es die WKStA –, dass die Zeitung „Österreich“ ab Anfang 2017 regelmäßig politische Umfragen beim Unternehmen von Beinschab, Research Affairs, beauftragen werde.

Und die Behörde skizziert die Vorgänge, bei denen auch die Pressesprecher Johannes Frischmann, Gerald Fleischmann und ÖVP-Berater Stefan Steiner beteiligt sein sollen, weiter: Die Umfragen sollten „mit Schmid und mehreren mit Medienthemen befassten Personen der ÖVP (Kurz, Steiner, Frischmann und Fleischmann) insofern abgestimmt werden, dass diese auch für ihre Strategien (Wahl zum Parteiobmann bzw. später Wahlkampf) relevante Fragestellungen „anhängen“ können. Die Ergebnisse sollten unter Berücksichtigung der Wünsche der Beschuldigten veröffentlicht und dabei von Beinschab als scheinbar unabhängige Expertin im Sinne der ÖVP präsentiert werden. Die Bezahlung der von Schmid beauftragten Fragestellungen sollte zunächst „Österreich“ – also Unternehmen der Fellner-Gruppe – und später das Finanzministerium übernehmen. Die dabei auflaufenden Kosten sollten in ebenfalls bei Beinschab durch das Finanzministerium beauftragte Studien mittels Scheinrechnungen (inhaltlich unrichtige Zuordnung der für die Umfragen gelegten Stundenabrechnungen zur Studie) eingerechnet und dadurch verschleiert werden. Thomas Schmid versprach im Zuge der späteren Umsetzung Beinschab in weiterer Folge auch eine Tätigkeit beim oder für den ORF („Wenn Kurz gewinnt werden wir dich dort positionieren“)“.

Am 6. September 2016 schreibt Schmid an Kurz:

In den folgenden Wochen und Monaten erscheinen in enger Abstimmung der genannten Personen Umfragen und Kommentare in „Österreich“, die der ÖVP ein desaströses Abschneiden bei Nationalratswahlen prognostizieren – außer, wenn sie auf Sebastian Kurz als Spitzenkandidaten wechseln würde. Die mutmaßliche Strategie dahinter: Man will innerhalb der ÖVP-Entscheidungsträger Stimmung zugunsten von Kurz erzeugen. Der gewollte Spin: „Mit Mitterlehner hätten wir nie eine Wahl gewonnen.“ Einer, den man übrigens auch mit nicht gefälschten Umfragen erzeugen hätte können.

Am 1. August 2017 unterhalten sich Schmid und Frischmann über die Umfragen.

Kurz bedankt sich im Laufe des Tages bei Schmid: „Danke für Österreich heute!“ Die WKStA sieht darin einen Beleg, dass Thomas Schmid in seinem Auftrag handle.

Kurz distanzierte sich am 6. Oktober 2021 im Interview in der ZiB 2 von den Vorgängen, behauptete, es seien lediglich „Leute im Finanzministerium“ gewesen, die da zusammengewirkt hätten.

Auf Dutzenden Seiten führt die Staatsanwaltschaft dann aus, wie effizient das System funktioniert: Kurz‘ Berater und Schmid platzieren über Beinschab im Vorfeld der Nationalratswahl zahlreiche Umfragen in den Fellner-Medien. Einmal, als die Glaubwürdigkeitswerte der Spitzenkandidaten „abgefragt“ werden, warnt Schmid Kurz am 16. August 2017 direkt:

Die Staatsanwaltschaft beschreibt auch, wie die Kosten für diese Umfragen zugunsten des Kurz-Teams dem Finanzministerium umgehängt werden – in etlichen Chats beschreibt Beinschab, wie die Abrechnungen in angebliche Arbeiten für das Ministerium „dazugerechnet, reingerechnet, abgerechnet oder hineingepackt“ werden sollen – eine solche Konversation findet etwa am 17. August 2017 statt (siehe unten). In Summe, so die WKStA, habe Beinschab dem Ministerium Rechnungen über mehrere Hunderttausend Euro gestellt; wie groß der Schaden durch „Einrechnungen“ sei, müsse erst ermittelt werden.

Auch die Schaltungen des Finanzministeriums in den Fellner-Medien listet die Staatsanwaltschaft penibel auf. Auffällig sei, dass ab dem dritten Quartal 2016 – also mit dem Start der mutmaßlichen Vereinbarung zwischen der Kurz-Gruppe und Fellner – „ein plötzlicher und sprunghafter Anstieg der Ausgaben für Inserate“ eintrat. „Addiert ergibt sich im Tatzeitraum ein aufgrund der tatbestandsmäßigen Vereinbarung verursachter Aufwand für Inserate in Höhe von 1.116.000 Euro“, heißt es in dem Antrag.

Im Februar 2022 wurde bekannt, dass die Meinungsforscherin Sabine Beinschab den ihr bekannten Teil des Konstrukts gestanden und bestätigt hatte. Da sie vor allem Ex-Familienministerin Sophie Karmasin schwer belastete, erhielt sie von der WKStA den Kronzeugenstatus. Im Oktober 2022 gestand auch Thomas Schmid den Verdacht der Korruptionsjäger. Zusätzlich betonte der Ex-Generalsekretär des Finanzministeriums, „dass ich die­ses Tool nur des­we­gen um­ge­setzt habe, weil ich von Kurz den Auf­trag be­kom­men habe“. Kurz bestreitet das und will rechtlich gegen Schmid vorgehen.

Außerdem sollen die Gebrüder Fellner laut Schmid nach dessen Kür zum Öbag-Chef an ihn herangetreten sein, um weitere Inserate zu erhalten: „Beide Fellners äußerten mir gegenüber, dass ich ja jetzt in einer Position sei, in der ich Zugriff auf alle Unternehmen mit staatlicher Beteiligung hätte. Wolfgang Fellner formulierte dann, ich könne ja über einen in der ÖBAG zu installierenden Art Generalsekretär Zugriff auf alle Unternehmen mit Staatsbeteiligung nehmen und diesen anschaffen, für welche Kampagnen in welcher Höhe in der Mediengruppe Österreich Inserate geschalten werden sollen“. Dies wurde laut Schmid nicht umgesetzt. Die Mediengruppe Österreich weist die Vorwürfe zurück und betont, dass Redaktion und Anzeigen-Verkauf strikt getrennt seien.

Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

Die Inseraten-Affäre

Dass das Finanzministerium ab 2016 verstärkt in der Mediengruppe „Österreich“ inserierte, fiel auch anderen Medien auf. Deren Verleger begannen, „dagegen Sturm zu laufen“, erklärt „Heute“-Chefredakteur Christian Nusser später. Seine Verlegerin, Eva Dichand, „war unter den Beschwerdeführern, sie gehörte sicher zu den lautesten“, schreibt Nusser. Die WKStA vermutet, dass Dichand nicht nur Kritik übte, sondern auch sie sich persönliche Vorteile auf Kosten der Steuerzahler herausschlug. Jedenfalls stiegen die Werbeschaltungen des Finanzministeriums auch in „Kronen Zeitung“ und „Heute“ nach 2016 rapide an – offenbar auf Wunsch der Verleger, wie der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Finanzministerium, Johannes Pasquali, im Jänner 2019 andeutete:

Ab Anfang 2017 intensivierte Schmid den Kontakt zu Eva Dichand und ihrem Mann und „Kronen Zeitung“-Herausgeber und Chefredakteur Christoph Dichand. Eva Dichand soll dabei gefordert haben, die Unverhältnismäßigkeit zwischen den Inseratenschaltungen in der „Österreich“-Gruppe und jenen in „Krone“ und „Heute“ zu beheben. Im März 2017 trafen sich Eva Dichand und Schmid laut WKStA persönlich, um Voraussetzungen für mögliche Medienkooperationen zu besprechen. Dichand soll das Privatstiftungsgesetz ein wichtiges Anliegen gewesen sein. Schmid versprach ihr laut WKStA sowohl höhere Inserate als auch Unterstützung bei der Privatstiftungsangelegenheit – im Gegenzug für positive Berichterstattung über Kurz und seine Ziele. Dichand weist diese Darstellung  als „einfach falsch“ zurück. Die Redaktionen von „Kronen Zeitung“ und „Heute“ weisen jeglichen Einfluss auf die Berichterstattung zurück.

Ende März schrieb Schmid an Kurz, dass Eva Dichand „voll hinter“ ihm stehe, aber „Stiftungen, Presseförderung, RTR usw.“ „verstärkt beachtet“ werden müssten. Nach einem Termin mit Christoph Dichand war sich Schmid aber sicher: „Dichand Mega auf Schiene.“ Er ging auch nicht davon aus, dass sich durch Mitterlehners Rücktritt am 10. Mai 2017 etwas an Dichands Gunst ändern würde:

Schmid, der für Inserate im Finanzministerium zuständige Beamte Johannes Pasquali und „Heute“-Geschäftsführer Wolfgang Jansky vereinbarten laut WKStA Mitte Mai Inseratenschaltungen in „Heute“. Ab dem 2. Quartal 2017 stiegen die Inseratenvolumina des Finanzministeriums in der „Krone“- und „Heute“-Gruppe spürbar an. Schmid war mit dem Ergebnis der Vereinbarung mit den Dichands offenbar zufrieden:

Das Justizministerium verschickte im Juni 2017 einen Gesetzesentwurf für eine Novelle des Privatstiftungsgesetzes. Da Eva Dichand über „Transparenzregeln“ im Entwurf „sauer“ gewesen sein und „Terror“ gemacht haben soll, soll Schmid eine ablehnende Stellungnahme des Finanzministeriums in Auftrag gegeben haben. Schmid informierte Dichand am 27. Juli darüber, dass die Stellungnahme eingebracht werde, am 7. August erschien sie online. Die Novelle wurde nie beschlossen.

Durch ihre Ermittlungen stieß die Staatsanwaltschaft auch auf andere Inseratenvergaben des Finanzministeriums, die wohl kaum ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit stillen. So bat etwa der Geschäftsführer der MG Mediengruppe GmbH im Oktober 2017 dem damaligen Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Finanzministerium eine „Kooperation“ an: „Anzeige und dazu redaktionelle Geschichte, Thema kannst du gerne vorschlagen“. Die WKStA will nun alle Inseratenschaltungen des Finanzministeriums zwischen 2015 und 2022 prüfen.

Schmids weitere Medienbeziehungen

Als früherer Pressesprecher hatte Thomas Schmid auch zu weiteren mächtigen Medienmachern eine besondere Beziehung. Offenbar besonders anfällig: „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak – auch wenn Schmid nicht immer gut über den Journalisten schrieb, wie hier am 15. Dezember 2014:

In direktem Kontakt mit Nowak drohte der frühere Generalsekretär des Finanzministeriums dann aber nicht mehr mit Gewalt, im Gegenteil: Immer wieder wandte sich Schmid an den Chefredakteur, wenn ihm Geschichten in der „Presse“ nicht gefielen. Als die Innenpolitikredakteurin Anna Thalhammer im Jänner 2019 zu seiner Person recherchierte, schrieb er ihrem Chef etwa:

Am 30. Jänner erschien ein Artikel Thalhammers darüber, dass die SPÖ das Konzept der Generalsekretäre an sich prüfen lassen wollte. Dabei werden die höchsten Beamten erklärt, Nebentätigkeiten oder Schmid aber nicht erwähnt. Da Thalhammer eine Anfrage zu seinen Nebentätigkeiten gestellt hatte, meldete sich Schmid erneut bei Nowak – und erhielt vom Chefredakteur der „Presse“ eine Antwort auf die Anfrage der „Presse“-Redakteurin formuliert:

Ein Artikel zu Nebentätigkeiten der Generalsekretäre erschien zumindest in den beiden Wochen danach nicht in der Presse. Als Schmid wenige Monate später ein Hearing für seine neue Funktion als Öbag-Chef hatte, berichtete er Nowak vom guten Verlauf – und blickte bereits in dessen berufliche Zukunft:

Nowak wollte offenbar schon länger ORF-Generaldirektor werden, Schmid sah das positiv. Bevor der Chefredakteur der „Presse“ und der Generalsekretär des BMF 2018 gemeinsam zu einem Geburtstagsfest eines ORF-Moderators auf Ibiza flogen, unterhielten sie sich über die anderen Gäste:

Aus dem Wunsch der beiden wurde allerdings nichts – obwohl die Weichen offenbar schon gestellt waren, wie Chats auf dem Handy von Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zeigen. Die Freiheitlichen waren mit der Berichterstattung unzufrieden. Im Februar 2019 wandte sich Strache aufgrund eines Beitrags in der ZiB 24 auch an Matthias Schrom, der seit März 2018 Chefredakteur von ORF 2 ist. Dieser antwortete:

Schrom teilte Strache in derselben Nachricht auch mit, eine neue Redakteurin „fixiert“ zu haben. Im April 2019 dürfte dann auch die FPÖ den „Presse“-Chefredakteur und ÖVP-Wunschkandidaten Rainer Nowak bereits als ORF-Generaldirektor gesehen haben – allerdings nicht nur mit Freude:

Am 7. Mai 2019 hatten ÖVP und FPÖ offenbar sogar bereits die Chefredakteure und stellvertretenden Chefredakteure von orf.at unter sich verteilt. Als zehn Tage später das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, war es mit der Koalition, der ORF-Reform und Nowaks Chefposten aber vorbei.

Regierungspläne sabotiert

Die mittlerweile veröffentlichten Chatprotokolle lassen aber auch tief in die Abgründe der Politik blicken. Am 30. Juni 2016 chatteten Sebastian Kurz und Thomas Schmid über Kinderbetreuungspläne der damaligen Regierungsspitze aus Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Schmid informierte darin Kurz über eine mögliche Einigung bei den Verhandlungen über einen massiven, 1,2 Milliarden schweren Ausbau der schulischen Nachmittagsbetreuung. Kurz hätte mit dem Erfolg von Rot-Schwarz wenig Freude gehabt und dachte schriftlich über Einflussmöglichkeiten seinerseits nach:

Knapp drei Jahre später wird Reinhold Mitterlehner noch einmal Thema zwischen Sebastian Kurz und Thomas Schmid. Nachdem der ehemalige VP-Chef am 17. April 2019 sein Buch „Haltung“ präsentiert hatte, das Kurz nicht besonders schmeichelt, tauschen sich die beiden darüber aus:

Am 6. Oktober 2021 schließlich werden nicht nur die Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, dem Bundeskanzleramt, dem Finanzministerium sowie weiteren privaten Adressen bekannt, auch ein kleiner Teil – eben jene mittlerweile prominenten 104 Seiten – des Ermittlungsakts wird öffentlich. Am Abend des 8. Oktobers spricht der grüne Vizekanzler Werner Kogler Bundeskanzler Sebastian Kurz live im Fernsehen die Amtstauglichkeit ab. Zeitgleich verhandeln die Grünen, die SPÖ, die Neos und die FPÖ über eine Parlamentsmehrheit ohne die Volkspartei. Am Samstag, dem 9. Oktober, wird schließlich bekannt, dass Kurz als Kanzler zurücktritt, an seine Stelle folgte der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg.

Auch auf politischer Ebene geht die Diskussion weiter. So sollte der ÖVP-U-Ausschuss die Ära Kurz aufarbeiten.

Am 2. Dezember reicht es Sebastian Kurz: Nach der Geburt seines Sohnes zieht sich der Ex-Kanzler gänzlich aus der Politik zurück. Der Schritt des ÖVP-Parteichefs sorgt für ein Machtvakuum.

Alexander Schallenberg stellt sein Amt als Kanzler noch am selben Tag zur Verfügung, um dem neuen ÖVP-Obmann oder -Obfrau Platz zu machen. Auch Kurz‘ enger Vertrauter Finanzminister Gernot Blümel legt seine Ämter zurück.

Am 3. Dezember bestellt die Volkspartei mit Karl Nehammer einen neuen Obmann. Der ehemalige Innenminister war vergleichsweise weit vom inneren Kreis um Sebastian Kurz entfernt – und damit auch vom Handy von Thomas Schmid. Auf der 454-seitigen Beschuldigteneinvernahme von Thomas Schmid fällt sein Name kein einziges Mal.

Die Causa Wolf

Ein Chat, der das Selbstbild des einst höchsten Beamten im Finanzministerium beschreibt. Im Dezember 2021 finden erneut Hausdurchsuchungen statt – diesmal in einem Finanzamt. Erneut tauchen neue Vorwürfe gegen Thomas Schmid auf. Es geht um schwarze Freundlichkeiten, Bestechung und Bestechlichkeit: Die WKStA hat den Verdacht, dass dem MAN-In­ves­tor Sieg­fried Wolf durch tatkräftige Unterstützung der ÖVP und insbesondere Schmid eine massive Steuerschuld erlassen wurde.

Den Kontakt zu Schmid soll Altkanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) gelegt haben:

Der Hin­ter­grund: Seit 2007 hätte Wolf Ein­künf­te in der Schweiz auch in Ös­ter­reich ver­steu­ern müs­sen. Das tat der In­ves­tor nicht und spar­te so rund elf Mil­lio­nen Euro – bis im Jahr 2012 ein Sach­be­ar­bei­ter im Finanzministerium den Feh­ler be­merk­te. Doch Wolf woll­te nicht zah­len. Statt­des­sen be­gann er „mas­si­ve In­ter­ven­tio­nen in­ner­halb und ’neben‘ der förm­li­chen Ent­schei­dungs­struk­tur“, schreibt die WKStA. Besonders intensiv stand Wolf mit dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium Schmid in Kontakt. Der fand Ende Oktober 2016 eine „Einigung“: Wolf sollte nur drei Viertel seiner Steuerschuld zahlen, teilte Schmid dem damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) mit:

Doch das reichte Wolf nicht. Er wollte auch die rund 690.000 Euro an Zinsen für seine Steuerschuld nicht zahlen. Als sich auch nach einem Jahr Tauziehen und Interventionen nichts machen ließ, wandte sich der Investor direkt und häufig an eine übergeordnete Finanzbeamtin, die für seinen Steuerakt zuständig war.

Wolf hatte intensiven Kontakt mit der Beamtin, das zeigen Chats, die auf dem Handy des Investors sichergestellt wurden. Das finale Angebot soll aber Anfang Juni 2018 persönlich auf einer Autobahnraststätte unterbreitet worden sein: Durch seinen Kontakt zu Schmid könne sie die Karriereleiter erklimmen, wenn sie im Gegenzug seinen Steuerakt zu seinen Gunsten behandle, soll Wolf der Finanzbeamtin angeboten haben, vermutet die WKStA.

Die Dame soll eine Leitungsposition im Finanzamt in Baden gewünscht haben. Das teilte Wolf Schmid auch schriftlich mit und bat „der Edi soll draufbleiben“ – gemeint sein dürfte der damalige Präsidialsektionschef und spätere Finanzminister Eduard Müller. Am Tag nach dem Hearing im Juli 2018 schrieb der Investor Wolf an den Generalsekretär Schmid:

Etwas mehr als eine Woche nach dem Hearing erstellte ein untergeordneter Mitarbeiter der Finanzbeamtin einen Bescheid, durch den Wolf rund 630.000 Euro nachgesehen wurden. Wolfs „Dame“ hatte den Bescheid zwar nicht unterzeichnet, die Begründung wurde ihr laut WKStA allerdings zuvor vorgelegt. Wenige Wochen später bekam die Finanzbeamtin ihren Wunschposten.

Erst im Frühjahr 2019 sahen interne Prüfer routinemäßig Steuernachlässe durch und stießen auf den beschriebenen Fall. Die Finanz hob den seinerzeitigen Bescheid auf. Der Fall liegt vor dem Bundesfinanzgericht.

Den Verdacht der WKStA bestätigte aber Thomas Schmid in seinem Geständnis als Beschuldigter: Er selbst habe zu­nächst die nö­ti­ge Schluss­be­spre­chung ver­zö­gert, dann dafür ge­sorgt, dass die Vor­stän­din der zu­stän­di­gen Groß­be­triebs­prü­fung nicht bei der Be­spre­chung dabei war und schluss­end­lich Wolf dabei ge­hol­fen, eine Fi­nanz­amts­vor­stän­din zu be­ste­chen. Er habe zwar nicht aus­drück­lich ver­ein­bart, dass Wolf der Be­am­tin sagen solle, dass sie ihre Wunsch­po­si­ti­on er­hal­ten würde, wenn sie zu sei­nen Guns­ten ent­schei­det, aber „mir war aber klar, dass Wolf die In­for­ma­ti­on, sie hat gute Chan­cen, die er von mir hatte, für seine Zwe­cke aus­nüt­zen wird“.

Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die genaue Dokumentation des Falles ist einmal mehr dem genauen Gedächtnis von Schmids Cloud-Speicher zu verdanken. Immerhin schrieb der damalige Finanzminister Schelling an seinen Kabinettsmitarbeiter Schmid:

Das Finanzamt Braunau

Siegfried Wolf soll aber nicht der Einzige sein, der mit Schmids Hilfe die Leitung eines Finanzamtes nach dem eigenen Wunsch besetzen ließ. Auch ÖVP-Klubchef August Wöginger soll 2016 „seinem parteipolitisch motivierten Besetzungswunsch Nachdruck“ verliehen haben und einem ÖVP-Bürgermeister zum Vorstand des Finanzamtes Braunau, Ried und Schärding verholfen haben, vermutet die WKStA.

Wöginger habe ihm mehrmals gesagt, dass der Kandidat „ein ÖVP-Bürgermeister und Freund aus dem ÖAAB sei, dessen berufliches Fortkommen innerhalb der Finanzverwaltung ihm ein besonderes Anliegen sei“, erklärte Schmid bei seiner Beschuldigteneinvernahme: „Mir war bewusst, dass ich mit einem ausschließlich parteipolitisch motivierten Anliegen von Wöginger zu tun hatte.“

Der ÖVP-Klubchef habe ihm gegenüber auch nie über die fachliche Eignung des späteren Finanzamtsvorstandes gesprochen. Er habe den Personalwunsch des ÖAAB-Obmannes Wöginger an den Vorsitzenden des Zentralausschusses weitergegeben, der ebenfalls ÖAAB-Mitglied ist, erzählte Schmid die Folgen der Intervention nach: „Ich habe ihm also klar mitgeteilt, dass das der Personalwunsch ’seines‘ ÖAAB-Chefs ist“. Er könne sich aber nicht mehr daran erinnern, ob dadurch in weiterer Folge auch Einfluss auf die Besetzung der Begutachtungskommission genommen wurde.

Wöginger hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und um die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität ersucht, damit „es hier rasch zur Aufklärung kommt und es wird sich schnell herausstellen, dass an den Vorwürfen nichts dran ist“.

Teurer Job bei René Benko

Der Immobilientycoon René Benko bot dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, 2016 einen wichtig klingenden Job an:

Laut Schmid wurde das Angebot in weiterer Folge sehr konkret: 300.000 Euro jährlich plus Bonuszahlungen in derselben Höhe sollte Schmid bei Benko verdienen. Damit verknüpft sei seine Hilfe als Generalsekretär im Finanzministerium bei Steuersorgen des Immobilientycoons gewesen, sagte Schmid gegenüber der WKStA, ausdrücklich sei der Konnex aber nicht hergestellt worden: „Wir sind aber nicht so dumm, dass das notwendig gewesen wäre. Wir haben ja immer wieder über das Steuerverfahren gesprochen. In zeitlicher und inhaltlicher Nähe sprach Benko auch wieder das Angebot für den Generalbevollmächtigten an.“ Die WKStA ermittelt nun gegen Benko wegen Bestechung und gegen Schmid wegen Bestechlichkeit. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz soll über seine Interventionen in Benkos Auftrag informiert gewesen sein: „Dass ich in unsachlicher Art und Weise für Benko tätig bin, habe ich zwar nicht konkret gesagt, aber natürlich wusste er, dass es nicht bloß um die sachliche Behandlung eines Anliegens geht.“ Schlussendlich wechselte Schmid aber nicht in die Privatwirtschaft. Grund dafür war einerseits sein nahendes Mandat als Öbag-Vorstand – und andererseits Kurz‘ Widerstand:

Die Casinos-Affäre

Beinahe in Vergessenheit geraten ist mittlerweile der Ursprung all dieser Skandale. Denn die 27 Beschuldigten finden sich allesamt in einem Ermittlungsakt, der im Umfeld der Casinos Austria seinen Ursprung hat. Im August 2019 erfuhr die Öffentlichkeit davon, dass sich Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz auf ein Personalpaket – Kritiker sagen: eine Packelei – geeinigt haben, die Schmid die Position als Öbag-Chef sicherte und dem ehemaligen FPÖ-Bezirkspolitiker Peter Sidlo einen Sitz im Vorstand der Casinos Austria.

Wobei die WKStA noch viel umfassendere Zusammenhänge vermutet: Nicht nur der fachlich ungeeignete Sidlo sollte mit den Stimmrechten der Republik Österreich und des Drittel-Eigentümers Novomatic in den Vorstand gehoben werden, auch für die Vize-Parteichefin der ÖVP würde es einen letzten Karrieresprung setzen. Bettina Glatz-Kremsner solle von der Finanzvorständin zur Generaldirektorin der Casinos Austria aufrücken. Dass sie für letzten Schritt eine Abfindung von 1,6 Millionen Euro erhielt, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.

Und Novomatic? Der Glücksspielkonzern machte sich im Gegenzug Hoffnungen auf eine Ausweitung der Lizenzen für das kleine Glücksspiel. Auch hier hatte Schmid seine Hände im Spiel, konkreter: die Finger am Touchscreen, wie die diese Nachricht an Glatz-Kremsner zeigt:

Diese Vielzahl an Beschuldigten ist auch der Grund dafür, dass die Chatprotokolle öffentlich sind. Denn nicht alle stehen einander persönlich oder politisch nahe. Und wer Einsicht hat, darf auch Akten weitergeben – und sofern das öffentliche Interesse gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse überwiegt, darf man darüber auch berichten.

Text: Thomas Cik, Georg Renner, Maximilian Miller und Jonas Binder
Fotos: EXPA, Ballguide, APA (10), APA/ORF/Thomas Ramstorfer, KLZ/Georg Aufreiter
Grafische Aufbereitung: Jonas Binder, Carina Steinegger