Ales Steger

Von Aleš Šteger

Der 48-Jährige ist einer der bekanntesten slowenischen Autoren

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ie Olympischen Spiele haben das Olympische Feuer, Jugoslawien hatte seine Staffel der sozialistischen Jugend. Es war ein Staffelstab, jedes Jahr künstlerisch neu gestaltet und vergoldet, der monatelang von herausragenden Jugendlichen und Arbeitern im Lauf durch das Land getragen wurde, um ihn an Titos offiziellen Geburtstag, dem zum „Tag der Jugend“ ernannten 25. Mai, im Rahmen eines riesigen Propagandaspektakels im Stadion dem sozialistischen Führer zu überreichen.

Man wollte damit die Einigkeit der jugoslawischen Jugend unterstreichen. Tito starb 1980. Doch die Show ging weiter, bis 1987 eine Affäre ausbrach. Die slowenische Künstlergruppe „Novi kolektivizem“ hatte neben dem Stab, diesmal aus Plexiglas, auch das Plakat gestaltet und verwendete als Vorlage ein Nazipropagandaplakat aus den Dreißigerjahren. Als die Medien dahinterkamen, war das der Anfang vom Ende.

Ich hatte aber noch Glück. Als Zwölfjähriger wurde ich zwei Jahre zuvor von unserer kleinen Dorfschule als Staffelträger ausgesucht. Es war eine große Ehre. Zugleich war es aber auch ein Problem. Ich war ein sehr schlechter Sportler, und die Aussichten, dass ich die Kilometer meist im steilen Anstieg rechtzeitig schaffen würde, waren gering. Meine Klassenlehrerin packte mich deshalb sofort nach der Übernahme der Staffel ins Auto, stülpte mir eine Decke über den Kopf, drückte das Gaspedal und ließ die Mitläufer ohne Staffelträger loslegen. In der nächsten Dreiviertelstunde, in der ich versteckt in der Nähe des Schulgebäudes auf die verschwitzten Kameraden wartete, zerfiel das sozialistische Weltbild vor meinem inneren Auge. Zuerst einmal wurde ich von Gewissensbissen geplagt, das sozialistische Erbe verraten zu haben. Das paar Kilo schwere Symbol der Verbundenheit der jugoslawischen Völker zitterte in meinen Händen und wurde immer schwerer. War das System wirklich so marode und alles nur Betrug? Endlich kamen meine Mitläufer schnaubend und verschwitzt angelaufen. Ich schloss mich ihnen frisch an und trug die zerfallende Hoffnung von einer titoistischen Zukunft nach Tito in den jubelnden Schulhof, wo man uns mit Fahnen und Musik erwartete.

Meine Angst und Scham wichen bald einer falschen triumphalen Leichtigkeit. Ich merkte, dass ich ab dem Moment, da ich die Staffel in die Hände der nächsten Läuferin übergab, kein Vertrauen mehr in die sozialistische Jugend finden konnte, ja, dass es mir ab sofort unmöglich war, etwas als verbindend zu erleben, das für mich nun nur hohl und erlogen war.

Fotos: Danilo Škofič/VEČER, Edith Cota

 

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