jana radicevic_freisteller

Von Jana Radičević

Geboren 1997 in Montenegro, ist derzeit Stadtschreiberin von Graz.

D

er Versuch, ein Foto zu finden, das mein Erleben des Landes, das es, als ich geboren wurde, bereits nicht mehr gab, das aber das Leben aller vor 1990 Geborenen bestimmte, am treffendsten darstellen würde, war erfolglos. Ich hoffte, in Familienalben ein Bild vom typischen Wohnzimmer aus dieser Zeit zu entdecken, weil das meine erste Assoziation zu Jugoslawien ist: die Einrichtung – Couchgarnituren aus glänzendem Stoff und mit Armlehnen aus Holz, meist handgefertigt, aber auch riesige Schränke, die eine ganze Wand bedeckten und aus denen Gläsersets blinkten, die herausgeholt wurden, wenn Gäste kamen.

Die sorgsam, sogar jahrzehntelang geschonte Einrichtung, die, wie man sagt, fast jedes Haus hatte, wurde auch zu einem kleinen Symbol für ein gewisses Gleichheitsgefühl, das diejenigen, die darin lebten, teilten. Wenn auch nur durch die Illusion von Gleichheit, besteht diese Welt in den Erinnerungen der Menschen als gut organisierter Staat, als System, in dem die Mittelklasse dominiert, und sie wiederholen heute oft: Man hat schön gelebt. Auf allen Fotos sind Menschen – lachend, in Gesellschaft, auf Reisen.

In den Erzählungen, die man mir davon überliefert, vergeht die Zeit stets langsam, und man findet Zeit für alles. Auf dem Foto zu diesem Text ist mein Vater mit den Mitgliedern eines Folklore-Ensembles auf dem Weg nach Makedonien, wo sie bei der damals populären Sendung „Znanje-imanje“ (Wissen – Besitz) mitwirkten, in deren Fokus die Landwirtschaft, die Musik und der Tanz standen und die jugoslawienweit sonntags vor dem Mittagessen, wenn die ganze Familie beisammen war, geschaut wurde.

Die Erzählung über Jugoslawien ist für meine Generation wie eine Legende, die überliefert wird und die in Abhängigkeit vom Kontext, in dem davon gesprochen wird, einen heiteren oder düsteren Ton annehmen kann. Bei den Älteren ist es oft Trauer über den Verlust eins sorglosen Lebens, des Gleichheitsgefühls oder des unerschütterlichen Vertrauens, dass Wissen bestimmt Besitz sei.

Darüber, was wirklich vom ehemaligen Jugoslawien geblieben ist, können einigermaßen zuverlässig diejenigen sprechen, die in diesem System gelebt haben oder diejenigen, die es erforschen, und für mich war es interessant zu versuchen, eine Vorstellung von diesem Land einzufangen und weiterzugeben, und zwar durch das, was eigentlich nicht einzufangen ist – Erinnerungen und Emotionen. Umso unzuverlässiger, weil es fremde sind.

Aus dem Montenegrinischen von Katharina Wolf-Grießhaber.
Fotos: Jana Radičević, Dado Ljaljević

 

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