Der hektische Alltag der Konsumgesellschaft konterkariert die eigentliche Bedeutung des Advent. Muss das sein?
Wir haben uns auf die Suche nach Nischen der Stille, Zonen der Ruhe, Augenblicke des Innehaltens begeben. Jeden Tag können Sie hier in eine dieser Momentaufnahmen eintauchen:
1. Dezember 2019
Wer seine schwere Verkühlung wegkuriert hat.
Der Schneeengel
Damals, als das Wünschen noch geholfen hat, war – zumindest in der milden Erinnerung – auch die Schneedecke viel dicker und so wunderbar weich, wenn das Kind sich juchzend in diese Flockentuchent fallen ließ und wild mit Armen und Beinen ruderte: Schneeengel, Schneeengel!
Weit und breit nichts als die weiße Unendlichkeit und mitten drinnen ich, der rudernde Engel, ein glückliches Balg, bald völlig durchnässt und bibbernd vor Kälte; aber alles egal, Zeit und Raum und Gesundheit spielten noch keine Rolle, nur das Jetzt zählte; denn damals war das Schöne noch nicht des Schrecklichen Anfang.
Im Kleinen vielleicht doch. Aber ein anderes wunderbares Wesen, die Mutter, hat die schwere Verkühlung des Schneeengels mit Kalbseinmachsuppe wegkuriert. Ich schmecke sie heute noch auf der Zunge. Und die Schneeflocken auch.
Von Bernd Melichar
2. Dezember 2019
Das Christkind kann alles – sogar eine Tradition begründen.
Sie hat schon wieder gefragt
Es glich eher einer Flucht. Um der Mutter in ihrer Nebenrolle als Christkind daheim ausreichend Zeit und Raum zu lassen, die damals vierjährige Tochter am 23. Dezember eingepackt und Richtung Skiberg gefahren. Am Ende des Skitags Lust auf mehr bekommen.
Spontan Zahnbürsten gekauft, ein Quartier besorgt, für eine Pizza zum Italiener am Berg hochgekurvt und den Tagesausflug um eine Nacht verlängert. Dem Christkind daheim bescherte das weniger Druck, den Ausgebüxten am 24. menschenleere Pisten. Kurz nach Mittag: „Driving home for Christmas“ im Radio und in echt.
Das Kind wurde größer, die Ski länger, der Schnee manchmal weniger, die Menschen auf den Pisten mehr. Die Sache mit dem Christkind flog irgendwann auf. Nur eines blieb in den letzten elf Jahren gleich. Auch heuer kam die Frage schon: „Fahren wir am 23. eh wieder auf den Kreischberg?“
Von Klaus Höfler
3. Dezember 2019
Schnee, Kekse, Glitzer: Kinder sind der Gegenpol zu Weihnachtsmuffeln.
Wünsche und Wunschloses
Wann schneit es?“ Die Frage kommt derzeit täglich. Für einen Fünfjährigen gehören Winter und Schnee zusammen: Er hofft unverdrossen. In der Welt der kleinen Schwester gibt es andere Fragen. „Mama, sag’ du, was ich mir wünsche“, meint sie nach langem Überlegen zum Thema Brief ans Christkind. Wunschlos glücklich, das ist man vielleicht nur mit drei.
Weitere Wünsche des Sohnes: Das nächste Türchen des Adventskalenders öffnen. Mit Oma die ersten Kekse backen: Ihre Geduld mit zwei Mehlmonstern ist unerschütterlich. Legozug und Co. (bereits fürs Christkind aus dem Katalog geschnitten). Den glitzernden Weihnachtsbaum am Grazer Hauptplatz anschauen. Mit Bummelzug und Riesenrad fahren!
Nie wieder ist die Vorweihnachtszeit so schön wie in der Welt kleiner Kinder. Manchmal möchte man das Strahlen festhalten
Von Sonja Peitler-Hasewend
4. Dezember 2019
Wie eine Umarmung auch Jahre später noch Herzenswärme auslöst.
Fürs Leben geprägt
Die Zeit tickt und mit ihr die Spezialangebote der Kaufhäuser. Weihnachten ist nicht mehr weit. Man sprintet von einem Geschäft ins nächste, der Kopf voll mit der Einkaufsliste. Am Telefon wird noch mit einer Freundin über meine Benefiz-Geschenkaktion für verarmte Familien getratscht, als große, dunkle Augen und eine leise Stimme meinen Trubel unterbrechen.
Eine kleine Frau Mitte 30 steht da und erzählt mir, dass auch ihr durch die Aktion geholfen wurde. Die Unbekannte bricht in Tränen aus, umarmt mich. So stehen wir da: Zwei Fremde Arm in Arm – mittlerweile fahren auch mir mit Schuss die Tränen die Wangen hinunter.
„Danke“, flüstert sie. Ich habe für ihre Familie Weihnachten gerettet. Seither sind zehn Jahre vergangen, die Herzenswärme ist geblieben. Ich mag damals ihr Weihnachten gerettet haben, sie aber hat mich für mein ganzes Leben geprägt. Danke.
Von Barbara Kahr
5. Dezember
Die alljährliche, weihnachtliche Reduktion auf das Wesentliche.
Laute Nacht mit skurriler Vorgeschichte
Wenn das Christkind CO2-neutral fliegt, ist das Weihnachtsgeschenk dann ein Klimapaket?
Wenn sie in der Weihnachtszeit nicht lange rumkugeln, heißen sie dann trotzdem Rumkugeln?
Wenn eine Truthenne am Weihnachtstisch landet, wird sie dann automatisch zum Truthahn?
Wenn ein Mercedes unterm Christbaum steht, ist das dann ein Weihnachtsstern?
Wenn der Teig vegan ist, heißt es dann trotzdem Leb-Kuchen?
Wenn wegen Weihnachten alle schwach werden, warum wird das Weihnachtsbock dann stärker?
Wenn man auf die weiße Pracht hofft, ist die Farbe der Hoffnung dann trotzdem Grün?
Außer Frage steht: Je lauter die Freude der Kinder die stille Nacht erhellt, umso nebensächlicher wird vieles andere.
Von Rudi Raunig
6. Dezember
Weihnachten ist, was wir daraus machen.
Punschloses Unglück
Weihnachten und die entsprechende, röstmandelfarbene, glühweingeschwängerte Vorlaufzeit ist jedermanns Sache nicht. So kann die viel beschworene Besinnlichkeit an einem endlosen Einkaufssamstag schon mal verloren gehen und die Nächstenliebe in der Schlange vor der Kassa auf der Strecke bleiben.
Und wer einmal an einem 24. Dezember die Gäste in einem Innenstadtlokal beobachtet oder gar bewirtet hat, weiß, dass Eintracht und Beschaulichkeit nicht unter jeder aufgeputzten Tanne liegen. Manch einer versucht dort, den eigenen Gang an den Haussegen anzupassen. Schöne Bescherung.
Wer mit der Festlichkeit aus dem Hochglanzkatalog und damit einhergehenden Konventionen nichts anzufangen weiß, muss noch nicht zum Grinch werden. Manchmal genügt es schon, die eigene und oft auf andere projizierte Erwartungshaltung zu überdenken.
Von Matthias Reif
7. Dezember
Wenn Weihnachtsseligkeit plötzlich zu Tränen rührt.
Die fünfte Kerze brennt
Advent war für mich, einem bekennenden Weihnachtsfan, immer eines: Familie. Die Besessenheit teilte ich mit meiner Mutter. Die Adventzeit war prall gefüllt mit Dekorieren, Keksebacken und -essen, Adventteetrinken und Lebkuchenhausbauen, damit, Engerl zu basteln, der Mutter zuhören, wie sie Weihnachtsgeschichten vorliest (keiner konnte das besser), Weihnachtsfilme zu schauen und über den Christkindlmarkt am Neuen Platz zu bummeln.
Das Programm blieb gleich. In den immer kürzer, seltener werdenden stillen Momenten über den Sinn sinnieren – und wer es ist, dieses Kind, das im Stall auf die Welt kommt. Der Höhepunkt: am 24. mit Eltern und Ehemann die Kinder beim Krippenspiel bewundern und später vor dem Christbaum „Stille Nacht“ singen.
Heuer ist alles anders. Sie fehlt: die Mutter, die vor einem Monat starb. Heuer werden am 4. Advent fünf Lichter brennen.
Von Alice Samec
8. Dezember
Der Schutz magischer Mächte tut in jedem Alter gut.
Und das Christkind gibt es doch
Wenn es im obersteirischen Bergdorf weiß und weich vom Himmel flockte (und in den 1970er Jahren flockte es noch verlässlich!), war klar: Weihnachten ist nicht mehr weit. Quasi zum Vorglühen gab’s Nikolaus und Kramperl, samt schaurig-schönem Volksschauspiel auf dem Dorfplatz.
Auf dem eigenen Kindertisch war’s sicher und der Gendarmen-Papa war ein verlässliches Schutzschild gegen böse Mächte aller Art. Von besonderer Bedeutung: Die Ausstellung des Buchklubs der Jugend, wo sich trefflich Anregungen für den Brief ans Christkind finden ließen.
Apropos Christkind – laut Lied steht es treu zur Seite und geht es auf allen Wegen mit uns ein und aus. Im Kindskopf entstand das Gefühl von 365 Tagen Vollkaskoschutz. Das Leben ist keine Dauer-Zuckerstange – ganz ging dieser Glaube dennoch nicht verloren. Immer wieder auf den Füßen zu landen, kann kein Zufall sein.
Von Ute Gross
9. Dezember
Warum uns das Christkind (noch) beim Sparen helfen könnte.
Das Christkind schafft nicht alles – oder?
Das Kind errechnete schon früh, dass es sich zeitlich nur schwer ausginge, wenn das Christkind alle Kinder auf der ganzen Welt beschenken müsste. Nicht einmal mithilfe von Weihnachtsmann, Rentieren und Nikolaus sei das zu schaffen. Wer aber sonst?
Da ist sich der inzwischen Siebenjährige noch immer nicht sicher: Etwa die Bank? Die habe genug Geld für alle. Oder doch ein Mensch? Analytisch wird eruiert, wer Schlüssel zur Wohnung hat. Die Großeltern sind aber immer schon da, wenn das Glöckchen läutet. Mama und Papa auch. Dabei stehen die doch unter größtem Verdacht. Denn am ehesten sei dieser ganze Aufwand logistisch von den jeweiligen Eltern zu schaffen, so das Kind.
Trotzdem wünscht es sich sicherheitshalber die größeren Geschenke zu Weihnachten. Denn wenn sie doch das Christkind bezahlt, ist es ja für Mama und Papa nicht so teuer. Wir danken!
Von Nora Kanzler
10. Dezember
Für manche Weihnachtslieder ist es nie zu früh.
Alle Jahre wieder – und das täglich
Abgekämpft kommt von der Arbeit heim – und ist mit dem Kopf in Wahrheit noch immer dort. Plötzlich tauchen die zwei kleinen Wuschelköpfe auf, schnappen einen an der Hand und platzieren mich auf der Wohnzimmercouch. „Papi, jetzt gibt es eine Aufführung“, verkündet die Vierjährige, derweil die Zweijährige halsbrecherisch auf einen Kasten klettert, den man nun Bühne nennen muss. Die folgenden zwei Minuten gibt es die herzerreissendste Version von „Alle Jahre wieder zu hören“. Wie seither fast jeden Tag.
Übrigens: Auf Basis der Streaming-Quote des Pop-Klassikers „Last Christmas“ wurde der Beginn der Weihnachtszeit heuer auf dem 5. November datiert. Seither wird das Lied (wieder) in den Top-200 von Spotify gereiht. Sie finden zu früh? Die erwähnte Erstaufführung gab es heuer am 20. August. Und nein: Für solch ein Weihnachtslied ist es nie zu früh.
Von Thomas Cik
11. Dezember
Warum die vorweihnachtliche Hektik auch etwas Schönes an sich hat.
Ankommen in der Eile
Advent bedeutet Ankommen. Ankommen im Kreise der Familie, bei sich selbst, unterm Mistelzweig, am Glühweinstand oder beim Keksebacken. Und vor allem: Ankommen in der Eile.
Mitten in dieser von vielen als stressig empfundenen Zeit schlendere ich gerne durch die Herrengasse, die Haupteinkaufsstraße von Graz. Ich beobachte das bunte Treiben, atme tief durch und freue mich über die helle Weihnachtsbeleuchtung in den grauen Monaten.
Ich überlege, wohin die Dame vor mir mit ihren Taschen voller Päckchen als nächstes hetzt. Oder schaue zu, wie der Vater neben mir versucht, die Einkaufstaschen am Kinderwagen perfekt an beiden Seiten auszubalancieren. Trotz der spürbaren Hektik denke ich daran, wie all diese Menschen um mich herum Geschenke kaufen, nur um ihren Liebsten eine Freude zu bereiten. Und diesen Anblick, den genieße ich.
Von Verena Schaupp
12. Dezember
Bei Keks- und Punschduft fällt das Warten aufs Christkind leichter.
Weihnachten ist zum Riechen nah
Zu Weihnachten haben meine Sinne Hochkonjunktur. Da glitzert und funkelt es nicht nur an jeder Ecke, auch die Nase hat allerhand zu tun. Ein Spaziergang durch den Weihnachtsmarkt kann da schon einmal etwas länger dauern. Der Duft von frisch herausgebackenen Waffeln, kürzlich geschnittenen Tannenzweigen oder süßem Punsch liegt in der Luft und lädt zum Verweilen ein.
Da wundert es einen freilich nicht, wenn man der Versuchung von goldbraun gebrannten Mandeln oder kandierten Äpfeln nicht widerstehen kann. Mit dem Gefühl, in einem mit Zuckerperlen verzierten Schlaraffenland gelandet zu sein, fällt es nicht schwer, trotz der vor Kälte klammen Fingern zuzugreifen. Und wenn man von all den Köstlichkeiten beim Weihnachtsmarkt noch nicht genug hat, warten zuhause die herrlich duftenden Kekse der Oma nach streng geheimem Rezept.
Von Martina Pachernegg
13. Dezember
In Gedenken an den allerersten Tanz.
Foxtrott mit den Flocken
Seine gestrige Ankunft legte kurz die Hasszone (un)soziale Medien lahm: „Es schneit, es schneit!“ – war zu lesen. Und dämpfte selbst den unbeirrbaren Wiener Grant kurzerhand. So ein langsamer Schneewolkenwalzer wirkt wie ein Antidepressivum, das einen in Schmelzgeschwindigkeit zu großen
Erinnerungen hinreißen lässt: Schneeengel ohne Ende, Sackerlrutschen, Iglubauen, Schlittenzerlegen auf der Stinkerwiese, waschelnasse Hosen, Schneemahlzeiten. An den allerersten Tanz kann man sich ja leider nicht erinnern, aber in Gedenken daran begrüße ich ihn – weniger elegant als die Kristalle – jedes Jahr beim ersten Mal mit dem spontanen Flockentanz.
Letztens in Lech am Alberg, pünktlich am ersten Adventsonntag war es so weit. Die Schweizer, Vorarlberger und Tiroler rundum schüttelten die Köpfe. Ein Ostdeutscher tanzte mit. Bleib doch – elf Tage bitte.
Von Julia Schafferhofer
14. Dezember
Manche Wünsche sind unbezahlbar: auch für das Christkind.
Der große Wunsch nach Schnee
Die Wunschlisten an das Christkind sind lang. So war es zumindest in meiner Kindheit. Ich erlebte die Adventzeit als unersättliches Wunschträumen und Tage zählen. Heute schreibe ich mit meiner Tochter ihren Wunschbrief und bin verblüfft. Sie wünscht sich heuer Schnee! Nichts als tanzende Schneeflocken.
„Hast du denn nicht auch andere Wünsche, falls dem Christkind die Schneeflocken ausgehen?“, werfe ich hoffnungsvoll ein. – „Nein! – Schnee!“ Ich tue, was in meiner Macht steht, um diesen Wunsch zu erfüllen, und das ist nicht viel: Ich schreibe auch ans Christkind, damit es uns Flocken bringt.
Zwei Briefe liegen nun im Fenster, um abgeholt zu werden. Herzenswünsche sind unbezahlbar. Eine Bitte ist doch noch auf dem Zettel gelandet: Karotten und Kohle zum Schneemannbauen. Das ist nicht schwer zu erfüllen. Erleichtert atmet das Christkind auf.
Von Nicole Kari
15. Dezember
Warum der Christbaumkugel-Vertrauensgrundsatz für Pepi nicht gilt.
Der Christkratzbaum
Mit dem Christbaum holt man die Erinnerung ins Haus. An ein getigertes Fellknäuel auf vier Pfoten etwa, dessen Untermieter man zehn Jahre sein durfte. Bis zu diesem Sommer. Was blieb, ist ein vorweihnachtliches Fehl-Knäuel in der Bauchgegend.
Die Leere wurde inzwischen durch eine Katzenfamilie aus dem Tierheim gefüllt. Und es nährt sich der Verdacht, dass Babykater Pepi die Christbaumkugel-Lethargie der Vorgängerin überkompensieren könnte. Die Adventkranz-Vertrauensfrage hat er nicht bestanden. Es gilt die Unfugsvermutung, gefolgt von der Unschuldslammvermutung.
Aber auf den Christbaum verzichten? Da denkt man nicht im Baum daran! Da wär ja Weihnachten für die Katz! So wird die Nordmanntanne heuer umso heller auf der anderen Seite der Balkontür leuchten. Ein Außenseiter ist sie trotz Kaltstellung nicht. Wird doch aus dem Christbaum gewiss einmal ein Kratzbaum.
Von Ulrich Dunst
16. Dezember
Ganz besondere Menschen bringen Licht und Liebe ins Leben.
Eine Botschaft, die von Herzen kommt
Wenn am Fenster Eisblumen blühten, war es glasklar: Es ist wieder Zeit, seinen Wunschzettel ans Christkind aufs Fensterbrett zu legen. Schön geschrieben oder klar gezeichnet sollte er sein, um eine Punktlandung bei den ersehnten Geschenken zu ermöglichen.
Das mit dem Wunschzettel ist freilich Schnee von gestern und zu bloßen Erinnerungen geschmolzen. Weihnachtlicher Duft kitzelt immer angenehm die Nase: Sternspritzer, gluthell wie Sonnenlicht. Federleichtes Windgebäck, das auf der Zunge zergeht – und schon ist man per Zeitmaschine ins Kopfkino der Kindheit versetzt.
Licht und Liebe ins Leben bringt aber stets ein ganz besonderer, liebenswerter Mensch. Daher gibt es statt eines Briefs an das Christkind hier und heute eine Botschaft, die von Herzen kommt: Alles Gute zum Geburtstag! Wunderschön, dass es dich gibt!
Von Andreas Schöberl-Negishi
17. Dezember
Das Christkind versteht es immer gut, unsichtbar zu bleiben.
Brav sein in der Adventzeit
Der Heilige Abend war immer etwas Besonderes: Die Öfen in allen Zimmern waren eingeheizt, und so war auch das sonst immer kalte Schlafzimmer der Eltern wohlig warm. Das war wichtig, denn dort – und nur dort – kam das Christkind, um für uns Kinder die Geschenke unter den Christbaum zu legen.
Dass wir welche bekommen, war völlig klar, denn in der Adventzeit waren wir besonders brav – um alle Fehltritte des Jahres in die Abteilung „Vergeben und vergessen“ zu verbannen und so geschenkemäßig auf der sicheren Seite zu sein.
Stunden vor dem Heiligen Abend war das Bravsein aber in akuter Gefahr, flüsterte doch ein Teufelchen: „Schau durch das Schlüsselloch, da siehst du das Christkind!“ Vergessen war das Bravsein und konzentriertes Beobachten war angesagt. Gesehen habe ich es nie, nur meinen Vater, der dem Christkind als Einziger helfen durfte.
Von Johanna Birnbaum
18. Dezember
Über eine kindliche Schätzung der Baummaße und eine Nackenstarre.
Der 500 Meter hohe Baum mit 10.000 Kugeln
Es war eine jährliche Tradition: Der Christbaum im elterlichen Zuhause ragte bis zur Decke. Als kleiner Knirps kam mir die Höhe schier unendlich vor. Ich meine mich an die eine oder andere Nackenstarre erinnern zu können, weil mein Bruder und ich im Kindesalter gar soooo weit nach oben blicken mussten.
„Mindestens 500 Meter ist unser Baum hoch“, habe ich im Kindergarten stolz erzählt, „Und das Christkind hat sicher 10.000 Kugeln mitgebracht.“ Die Freunde staunten, obwohl manch einer gar noch einen höheren Nadelriesen gehabt haben will. Zum Vergleich: Die Tanne am Grazer Hauptplatz ist in diesem Jahr 29 Meter hoch.
Den prächtig geschmückten Baum der Eltern gibt es jedenfalls immer noch. Zwar ist er keine 500, aber gut zweieinhalb Meter hoch. Das lässt die Kindheit bis heute an jedem Heiligen Abend aufleben. Mittlerweile aber ohne Nackenstarre.
Von Michael Kloiber
19. Dezember
Mission im Advent: Die besten Vanillekipferl der Welt finden.
Die wichtigste Frage von allen
Es ist nie zu spät für neue Traditionen. Eine Episode mit „Alle Jahre wieder“-Potenzial gefällig? Bitte sehr, bitte gleich: Jüngst begab sich die Schreiberin dieser Zeilen auf die Suche nach den allerbesten Vanillekipferl der Welt (Rein dienstlich, versteht sich). Mit dabei: die zwei Kinder einer Kollegin. Rückblickend eine weise Entscheidung. Geht es um Kekse, werden manche Kinder nämlich zu wahren Vielarbeitern, die im Akkord ein Kipferl ums andere krümmen.
Und journalistisch? Sorgten die Kinder für durchaus investigative Ansätze in der Weihnachtsbäckerei. Stellte doch die Sechsjährige angesichts der mehr als vollen Bleche die wichtigste Frage von allen: „Wie viele Kekse kann ich essen, bis ich Bauchweh bekomme?“
Liebes Kind, das sollten wir dringend nächstes Jahr noch einmal austesten. Du weißt schon, der neuen Tradition wegen.
Von Katrin Fischer
20. Dezember
Das Christkind gibt’s wirklich. Und den Osterhasen auch.
Ein kurzes Huschen im Schnee
Gibt’s das Christkind überhaupt? Und den Osterhasen? Fragen (und vor allem Antworten), die ich meinen Eltern erspart habe, denn: Ich hab’ beide gesehen. Leibhaftig. So hoppelte der österliche Geschenkebringer in Form eines kräftigen Feldhasen direkt (!) nach der Fleischweihe (!) aus unserem Garten, wo wie durch Zauberhand bunt gefüllte Nesterl (!) versteckt waren. Zufall? Wohl kaum. Beweis erbracht, mein fünfjähriges Ich zufrieden.
Mit dem Christkind war’s da schwieriger – es hat sich nicht und nicht erwischen lassen, der Schlingel. Aber einmal habe ich es dann doch erspäht, direkt im Landeanflug. Heiliger Abend, dichtes Schneetreiben, ungeduldiges Warten. Oma, hast du das Christkind schon einmal gesehen? Freilich. Schau’ genau. Und wie ich geschaut habe! Da – war da nicht ein weißes Kleid, ein kurzes Huschen im Schnee? Oma, ich hab’s gesehen! Ganz in echt.
Von Sarah Ruckhofer
21. Dezember
Adventkalender-Betrachtungen.
Versuch und Irrtum
Wir Kinder der „Knoff-Hoff-Show“ und „Yps“-Magazin-Ära waren dazu verdammt, unser Leben schon in jungen Jahren in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Ich schwöre, es gab keinen anderen Grund als die Triebfeder der Neuentdeckung, die mich vor rund drei Jahrzehnten dazu veranlasste, bereits an Tag zwei den Adventkalender von seinem Inhalt zu befreien. Wie sollte man sonst zur reinen Lehre über die reine Leere kommen?
Unschön, dass man als Nebenprodukt einen Haufen Schokolade vor sich liegen hatte. Und weil man dazu angehalten war, nichts zu verschwenden, musste wohl oder übel alles beseitigt werden. Ich habe mich geopfert.
Zugegeben, der etwas plumpe Versuch, den Originalzustand wiederherzustellen, war weniger erfolgreich – zumindest aus der Nähe betrachtet. Aus einer Distanz von rund zehn Metern war es eh recht passabel.
Von Susanne Rakowitz
22. Dezember
Über verschwundene Puppen und die Christkind-Werkstatt.
Die Wiederkehr von Gabi und Ännchen
Am Morgen eines der letzten Adventtage waren die Bettchen leer, Gabi und Ännchen weg. Nicht einmal meine Mutter konnte sie finden. Sie entdeckte dann allerdings das kleine Stofffleckerl auf dem Fensterbrett; mit den Schneeflocken und einer Engelslocke heruntergeschwebt vom Himmel. Welch Botschaft! Gabi und Ännchen sind wohl zur Anprobe in der Christkind-Nähwerkstatt!!
Es stimmte: Am Heiligen Abend saßen sie chic neu eingekleidet unter dem Weihnachtsbaum. In Stulpenhosen und Bubikragerl-Blusen, im Jahr darauf in Dirndlkleidern und wieder ein Jahr später in (Kunst-) Felljacke und Kapuzen-Cape.
Alle Jahre wieder hören Kinder aus der Familie von Freunden und Nachbarn diese Puppen-Geschichte. Meine Mutter lächelt dann, so, als wüsste sie, wie kreativ und liebevoll in der Christkindwerkstatt über Jahre geschneidert wurde.
Von Andrea Bergmann
23. Dezember
Einfach die Zeit mit den Liebsten genießen.
Die letzten gemeinsamen Weihnachten?
So sicher wie das jährliche Weihnachtsfest ist auch die Aussage meiner Großmutter unterm Weihnachtsbaum: „Wer weiß, ob ich nächstes Jahr noch hier bin.“ Dies sagt sie seit mittlerweile mehr als 25 Jahren – heuer wurde sie 99 Jahre alt und wir haben das Glück, dass wir tatsächlich noch immer gemeinsam Weihnachten feiern dürfen.
Allerdings hat mich das heurige Jahr gelehrt, dass man es nicht als Tatsache ansehen darf, dass sich alle Mitglieder der Familie wohlbehalten unterm Baum versammeln können. Daher versuche ich nun auch im Alltag, die Zeit mit den Liebsten noch mehr zu genießen, solange es geht. Sie einmal mehr zu umarmen, ihnen öfters zu sagen, wie froh man ist, dass man sie hat.
Aber natürlich hoffe ich, dass auch 2020 noch die gesamte Familie zusammen Weihnachten feiert. Mit meiner dann bereits 100-jährigen Großmutter.
Von Sandra Mathelitsch
24. Dezember
Die Stunden zwischen Ö 3 und Ludwig van Beethoven.
Wenn Advent zu Weihnachten wird
Und es begab sich, dass man versuchte, in den Wochen des Advents innezuhalten. Die von Glühweindunst umnebelten schrillen Märkte kannte man nicht. Es schien, als ob das Leben stiller verlief. Bei uns galt eine traditionelle Adventordnung. Das Entzünden der ersten Kerze wurde festlich begangen, von Sonntag zu Sonntag wurden die Teilnehmer der bescheideneren Andachten weniger. Der Advent galt strikt bis zum Heiligen Abend.
Als meine Brüder ein Alter erreicht hatten, mit dem sie für würdig gehalten wurden, beim Schmücken des Weihnachtsbaumes mitzuhelfen, hörten sie beim Aufputzen des Baumes Ö 3. Was die Mutter erschütterte und erzürnt einschreiten ließ. Wenn aus dem Radio wieder Beethovens traditioneller Hymnus „Die Himmel rühmen“ klang, war die gute Frau zufrieden und mit der Welt versöhnt. Weihnachten durfte kommen.
Von Christian Weniger