Was uns morgen bewegt: Von Technologie-Kämpfen, trügerischen Energiebilanzen, letzten Chancen, großen Gewinnern und warum die Branche von Amazon träumt. Die Mobilität ist im Umbruch.

Von Didi Hubmann und Jonas Pregartner

Die Prognosen von Patricia Espinosa, Chefin des UN-Klimasekretariats hören sich nicht gut an: „Unser derzeitiger Kurs ist nicht im Einklang mit den Klimazielen des Pariser Abkommens.“ Mit dem Abkommen haben sich die Teilnehmerstaaten verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Das Scheitern gilt als wahrscheinlich, der Dominoeffekt schlägt schon heute durch. Die Angst vor der Klimakatastrophe, der Dieselskandal und Jugendbewegungen wie Fridays for Future haben unser Verständnis von einer freien, unbegrenzten Mobilität, befeuert von fossilen Energien, ins Wanken oder oder schon zum Einstürzen gebracht. So kann und wird es nicht weitergehen. Klagen gegen Erdölkonzerne wie Shell, damit sie ihre CO2-Emissionen dramatisch einschränken, sind erfolgreich. Der Ruf nach dem Verbot für Verbrennungsmotoren ist salonfähig, die Autoindustrie gibt gar den Paulus statt den Saulus und verspricht selber stufenweise die Abschaffung, obwohl man vom Verbrennungsmotor lebt. Die Autos sollen raus aus der Stadt, Fliegen soll man nur noch einmal pro Jahr. Bloß: Es ist alles noch komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.

Ein konkretes Ausstiegsdatum gibt es nicht. Die Bandbreite liegt zwischen 2025 und 2040.

Leonore Gewessler, Verkehrsministerin

Foto: APA

Es ist ein Duell der Giganten. Auf der einen Seite der Volkswagen-Konzern und Chef Herbert Diess mit seiner radikalen Elektrifizierungsstrategie, von VW bis Audi, von Seat bis Skoda. Diess, kampfeslustig, hat in Opposition zur anderen Konzernen das batterieelektrische Autos als alleinige Wahrheit erkoren. Wohlwissend, dass die Entwicklung und Technik von Batteriefahrzeugen sich erst rechnet, wenn man Skaleneffekte erzielt. Also große Mengen produziert und verkauft.

Lassen Sie mich klarstellen, die Batterie hat gewonnen.

Herbert Diess, Volkswagen-Konzernchef

Foto: AFP

Auf der anderen Seite: Toyota, größter Autohersteller der Welt, Technologieoffenheit predigend. Das reine E-Auto sei nicht der Weisheit letzter Schluss. Man hat das große Bild einer Wasserstoffgesellschaft vor Augen. Die Japaner haben zuletzt sogar den Grundstein für eine Wasserstoff-Stadt gelegt, um ein Reallabor zu erschaffen, wie diese Welt im Alltag funktioniert. Und man zeigt in Modellrechnungen – etwa von Entwicklungschef Gerald Killmann – dass die 60-kWh-Batterie eines E-Autos auf 80 Hybridautos aufgeteilt werden kann. Die Hybride schaffen, weil in höherer Zahl, dann auch eine höhere emissionsfreie Kilometerzahl (Stadtverkehr).

Es ist industrieweit und politisch anerkannt, dass Wasserstoff die Methode ist, um erneuerbare Energie zu speichern.

Gerald Killmann, Entwicklungschef Toyota Motor Europe

Foto: O. Wolf

Mittendrin die Industrie, die politischen Entscheidungsträger. Wankend, weil wissend: Das batterieelektrische Auto hat die erste Etappe gewonnen, aber kritische Zwischentöne werden laut. Die Öko-Gesamtbilanz sei zu hinterfragen, genauso wie die Ausbeutung der Erde für Batterierohstoffe. Gegengesteuert wird mit Beteuerungen, eigenen Rechnungen, CO2-Zertifikatskäufen, und Baumpflanzungen für eine saubere Bilanz. Aber auch die Wasserstofftechnologie hat ihre Tücken: Grüner Wasserstoff, hergestellt mit erneuerbare Energien, benötigt große Mengen an Strom. Diesen Bedarf muss man erst mit dem Aufbau von riesigen Windanlagen oder Solarfeldern abdecken. Aber in der Folge kann man den Wasserstoff zu synthetischen Kraftstoffen verarbeiten. Grüner Wasserstoff als Energieträger oder Energielieferant gilt als einer der wichtigsten Hoffnungsträger der Schwerindustrie, genauso wie in der Luft- und Schifffahrt. Jürgen Rechberger, Manager des globalen Brennstoffzellenprojekts von AVL List, sieht erhebliche technische Potentiale für die Brennstoffzelle. Man brauche noch fünf Jahre, ehe sie breitenwirksam werde – zuerst bei den Schwerfahrzeugen.

Brennstoffzellen-Prüfstand der AVL

Prüfstand für Brennstoffzellen bei AVL in Graz © Wappl

Es gibt eine faszinierende App namens „Electricity Map“. Dort wird in Farben und Landkarten erfasst, welches Land mit grünem Strom unterwegs ist. Immergrün: Frankreich, dank Atomstrom. So weit sind wir heute gekommen. Woher wird aber der ganze Strom, den wir für die Umstellung auf die E-Mobilität brauchen, kommen? Dazu kennt man verschiedene Rechenmodelle, immer abhängig davon wann (Nacht/billiger) und wie (Schnelladen/mehr Energie) E-Auto-Besitzer laden. Der zähe Ausbau der Ladepunkte und der Tarifdschungel beim Bezahlen sind Hemmschuhe für die schnelle Entfaltung der E-Mobilität. Die Stromnetze sind außerdem für die Belastungen nicht gebaut, es braucht Milliarden für die Infrastruktur-Entwicklung, weltweit. Wenn Österreich seine fünf Millionen Pkw auf der Stelle auf E-Antrieb umstellt, hätten wir schon ein Problem, wenn nur ein Prozent sich bei Schnellladern mit Energie versorgt, Dann bräuchten wir dreimal mehr Strom, als wir heute produzieren, erklärt AVL-Mann Rechberger. Deshalb sieht er bei 20 bis 30 Prozent der zukünftigen Fahrzeuge ein „anderes Technologiepotenzial“ mit Wasserstoff und Brennstoffzelle.

Mit Schlagwörtern wie Autoschämen, Flugschämen oder Klickschämen wird die Energiebilanz schnell zum Generationenkonflikt. Günter Getzinger, Professor an der TU Graz (Science, Technology und Society Unit) hat mit Studenten Modellrechnungen durchgeführt. Ergebnis? Die Generation der älteren Babyboomer trage etwa einen gleich schweren CO2-Rucksack wie die jungen Generationen mit sich. „Vielleicht ist jener der Älteren etwas schwerer, aber im Grunde genommen halten sie sich die Waage. Die Jungen mit der Digitalisierung und dem Fliegen, die Älteren mit Autos und dem hohen Fleischkonsum.“

Vielleicht ist der CO2-Rucksack der Älteren etwas schwerer, aber im Grunde genommen halten sie sich die Waage. Die Jungen mit der Digitalisierung und dem Fliegen, die Älteren mit Autos und dem hohen Fleischkonsum.

Günter Getzinger, TU Graz (Science, Technology und Society Unit)

Foto: Lunghammer

Die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze geht sogar davon aus, dass die Digitalisierung der „größte Brandbeschleuniger“ des Klimawandels sei – und dass schon ab 2025 durch die Digitalisierung „mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als durch den Autoverkehr“. Der Think Tank „The Shift Project“ errechnete 2019, dass bis 2025 alleine der Videokonsum (Netflix, Amazon, soziale Medien, Pornos und Youtube) mehr CO2 verursachen werde als der Flugverkehr. Über riesige Serverfarmen laufen die Onlinedienste, sie verbrauchen genauso Strom wie die Geräte selbst. Und verursachen CO2. Gegner dieser Studien sagen, es sei mit falschen Zahlen operiert worden, mit neuen Techniken werde der Stromverbrauch geringer. Tatsache ist: Nicht nur der Verkehr ist CO2-Treiber. Statt dem Aus für den Verbrennungsmotor, wie es die Grünen einfordern – die Wiener Grünen schon 2030 – könnten die Grünen auch ein Verbot von Netflix, Facebook, Youtube vorschlagen. Das würde aber wohl nicht so gut ankommen.

Dem Kreislauf entkommt man nur, wenn man den Faktor Mensch ausblendet und die Mobilität autonomen Fahrzeugen überlässt. Peter Fischer (TU Graz) hat errechnet, dass Emissionen vom Bremsstaub und Reifenabrieb in der Masse höher sind als ein Auspuff eines modernen Euro-6-Fahrzeuges hergibt. Dem Kreislauf entkommt man also nur, wenn man den Faktor Mensch ausblendet und die Mobilität autonomen Fahrzeugen überlässt. Autonome Fahrzeuge, die immer gleichmäßig, immer vorausschauend mitrollen, ohne scharf zu bremsen oder zu beschleunigen, bleiben sauberer.

Das autonome Fahren gilt bei Google, Apple oder Uber als ein Geschäftsmodell der Zukunft. Gelenkt von künstlicher Intelligenz, ohne Chauffeur, das Auto zur Hardware degradiert, während Werbung und Inhalte im Transporter ausgespielt werden, um Gratisfahrten anzubieten. Volkswagen hält dagegen und will 2025 ins Geschäft einsteigen – mit dem E-Bulli. Die Chancen, dass Österreich in der Liga mitspielen kann, sind trotz exzellenter Projekte (ALP.Lab, TU Graz) gesunken: Deutschland hat die gesetzlichen Voraussetzungen für Tests im Alltag geschaffen. Österreichs Politiker denken noch nach.

Googel entwickelt autonome Fahrzeuge

Technologieriesen wie Google entwickeln autonome Fahrzeugen © Google

Mobilitätsforscherin Ellen Enkel (Lehrstuhl Uni Duisburg-Essen) sieht das Auto grundsätzlich nicht als Auslaufmodell. „Klimaaktivisten haben sich das vielleicht gewünscht.“ Im ländlichen Raum habe man ja gar keine andere Wahl, im Gegensatz zur Stadt. Der Ansatz der Jungen sei in den Städten ein anderer: Es gehe darum, nur noch das zu bezahlen, was man wirklich nutzt. „Das Auto, das ich besitze, kostet ja auch dann noch etwas, wenn ich es 90 Prozent des Tages nicht nutze.“

Das Auto, das ich besitze, kostet ja auch dann noch etwas, wenn ich es 90 Prozent des Tages nicht nutze.

Ellen Enkel, Mobilitätsforscherin, Uni Duisburg-Essen

Foto: KK

Der Kunde wolle flexibel alle Mobilitätsangebote nutzen, die auf einer Plattform zur Verfügung stehen. Also Öffi und Auto und Räder. „Ich nehme einmal das Luxusauto, später muss ich einkaufen gehen, also kann ich das E-Rad buchen. Oder wenn ich nach Berlin fahre, dann nehme ich ein Zugticket, und den öffentlichen Nahverkehr. Alles über mein Smartphone und über einen Klick. Solchen Modellen gehört die Zukunft.“ Es gehe darum eine Plattform wie Amazon für Autos und Mobilität zu kreieren. Wer das schafft, werde den Markt dominieren, egal ob Autohersteller oder Internetgigant. Daimler etwa hat so eine Plattform, die alle Mobilitätsformen – Öffis, Autos etc. – vernetzt, aufgebaut. Seat arbeitet in Barcelona an solchen Konzepten. In Graz sammelt die Holding mit ihrem Tim-Projekt Erfahrungen. Das Prinzip Sharing, also Teilen statt zu besitzen schwingt hier immer mit. Auch die Abomodelle für Autos – Sorglos-Rundumpakete – bekommen am Markt immer mehr Grip. Projekte lokaler Händler – wie von Vogl + Co – werden sogar von großen Herstellern anerkannt.

Lastenräder mit Preisen von Kleinwägen, monatelange Wartezeiten auf Hightech-Räder im fünfstelligen Euro-Bereich – dem E-Rad und seinen Derivaten gehört ein großer Teil der Mobilitätszukunft. Immer mehr Menschen radeln den ganzen Winter durch. Wie stark das Drehmoment in dem Bereich ist, zeigt die Strategie von KTM-Chef Stefan Pierer: Den Anfang machte 2020 die neue Sparte an Elektro-Fahrrädern, von denen man „aus dem Stand“ 70.000 Stück verkaufen konnte. Bis 2025 soll der jährliche Verkauf auf 330.000 Stück steigen, der Umsatz auf eine halbe Milliarde Euro. Demnächst rollen Kickscooter, E-Roller und E-Motorrädern im heutigen 125er-Segment an. Aber: „Große, schwere und teure Batterien werden für Sport- und Reisemotorräder keine Lösung sein – die Zukunft von Motorrädern liegt in E-Fuels.“ Pierer setzt auf synthetische Kraftstoffe, die ressourcenschonend erzeugt werden können und dann als klimaneutral gelten. Womit wir übrigens auch wieder beim Wasserstoff und am Anfang wären.