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FILE - In this Wednesday, March 21, 2018 file photo then member of the board of the German car manufacturer BMW, Markus Duesmann, attends a press conference in Munich, Germany. German automaker Audi says former BMW executive Markus Duesmann is to become its new chief executive. Audi said Friday that the 50-year-old succeeds current CEO Bram Schot on April 1, 2020. (AP Photo/Matthias Schrader, file)

Markus Duesmann

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Ludwig van Beethoven (1770-1827). ÖlLw.  (1819). - 20091113_PD1460

Ludwig van Beethoven

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DESIGN

Michael Sommer & Erich Repe

BEITRÄGE

Veronika Dolna, Andreas Lieb, Franz Stefan-Gady,
Manfred Neuper, Thomas Cik, Rainer Brinskelle,
Harald Hofer, Hubert Gigler, Julian Melichar,
Didi Hubmann, Julia Schafferhofer,
Roman Vilgut und Martin Gasser

#1 Michael Ludwig

ABD0066_20190312 - WIEN - ÖSTERREICH: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstag, 12. März 2019, im Rahmen eines Pressegesprächs zum Thema "Wien startet Präventionsprogramm an Schulen" in Wien. - FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT

Von Veronika Dolna

Abwehrkampf im Roten Wien

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig muss in diesem Jahr seine erste Wahl schlagen.  Es geht um mehr, als nur den Chefsessel im Rathaus: In Wien entscheidet sich die Zukunft der Sozialdemokratie.

Ein ganzes Jahr lang feierte Wien die letzten hundert Jahre. Im Jubiläumsjahr 2019, hundert Jahre nach der ersten absoluten Mehrheit der Sozialdemokraten im Stadtparlament, errichtete das Wien Museum dem „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit ein monumentales Ausstellungsdenkmal. Die Schau erzählte vom sozialen Wohnbau, der städtischen Fürsorge, der revolutionären Fiskalpolitik. Doch das Jubiläumsjahr ist vorbei, und die Ausstellung bald Geschichte. Zur Finissage  wird noch einmal im Stundentakt durchgeführt. Dann wird das „Rote Wien“ abgebaut.

Ob die Sozialdemokratie in Wien auch außerhalb der Museumsmauern abmontiert wird, wird dieses Jahr zeigen. Heuer wählt Wien einen neuen Landtag- und Gemeinderat. Der Termin steht noch nicht fest, als wahrscheinlich gilt der 11. Oktober, doch auch ein Termin vor dem Sommer ist möglich. Fest steht aber: Es wird eine Schicksalswahl für die SPÖ.

Schlagen muss die Michael Ludwig, seit knapp zwei Jahren Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. Es ist seine erste Wahl, und es geht um viel. Noch ist Wien die wichtigste rote Bastion Österreichs. Fast 40 Prozent der Wiener wählten vor fünf Jahren SPÖ. Doch seither hat sich viel verändert. Bei der Nationalratswahl war Wien zwar das einzige Bundesland, in dem die SPÖ den ersten Platz verteidigen konnte. Doch mit 27,1 Prozent war ihr Ergebnis eher mager. Die ÖVP kam ihr mit 24,6 gefährlich nahe, die Grünen erreichten über 20 Prozent. Zum ersten Mal überhaupt gab es in Wien eine Mehrheit aus ÖVP, Grünen und Neos. Wenn die drei bei der Wien-Wahl gemeinsam mehr als fünfzig Prozent erreichen, würden sie das rote Wien zu Fall bringen, warnt Ludwig neuerdings. Aus Mobilisierungsgründen wohl, aber auch aus echter Sorge. Eine SPÖ-interne Umfrage ergab kürzlich, dass sich eine Dirndlkoalition in Wien rechnerisch ausgehen könnte.

Für Ludwig kommt erschwerend hinzu: Er war nicht der Wunschnachfolger von Michael Häupl, der Wien 23 Jahre lang mit einer Mischung aus Grant und Schmäh regierte. Ludwig musste sich einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz stellen. Die gewann er solide, doch das Konfliktfeld bleibt.

Wie kann die schwächelnde Sozialdemokratie wieder an Bedeutung gewinnen? Darauf gibt es in der SPÖ zwei unterschiedliche Antworten. Mit Law and Order-Politik und einer schützenden Hand über die eigene Leute, sagen die einen. Sie begrüßen, dass Ludwig Alkohol an neuralgischen Punkten in der Stadt verbietet oder Menschen, die schon länger in Wien leben, bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Die anderen halten eine liberale Sozialpolitik und progressive Weltoffenheit für den richtigen Weg. Sie feiern Ludwig dafür, dass er über die SPÖ-Bundesräte das Mindestsicherungsgesetz der türkis-blauen Regierung vor den Verfassungsgerichtshof brachte und schlussendlich zu Fall brachte.

Vom Fan-Kult, den es in Wien in den letzten Jahren um Michael Häupl gab, ist bei Michael Ludwig trotzdem keine Spur. Auf den ersten Blick wirkt Ludwig spröde, fast langweilig. Obwohl er mit den Grünen regiert, lebt er mit der Wirtschaftskammer eine großkoalitionäre Harmoniebeziehung. Die Stadt profitiert davon, für heldenhafte Heilsversprechungen eignet sich die Konstellation aber nicht. Aber womöglich ist genau das Ludwigs größtes Ass: Er verkörpert einen Gegenentwurf zu Christian Kern oder Pamela Rendi-Wagner, die die letzten Niederlagen der SPÖ einfuhren. Seine Biografie erzählt die Geschichte vom sozialen Aufstieg, den erst sozialdemokratische Politik ermöglichte. Der Sohn einer Hilfsarbeiterin machte Matura, studierte und promovierte sogar. Als elitär wird er trotzdem nicht wahrgenommen. Er diente sich in der Partei nach oben, vom Kursleiter zum Chef der Wiener Volkshochschulen, vom Bezirksrat zum Gemeinderatsmandatar zum Wohnbau-Stadtrat. Wie sein Amtsvorgänger Werner Faymann wusste er diese Machtposition geschickt für sich zu nutzen.

Als Bürgermeister gelang es ihm, ein Regierungsteam zusammen zu stellen, das in beiden Lagern der Partei auf Wohlwollen stieß. Zuletzt engagierte er mit Elisabeth Auer eine Pressesprecherin, die als ausgebildete Fußball-Schiedsrichterin zusätzlich Erfahrung im Kontaktsport hat.

Ob Michael Ludwig das Match seines Lebens gewinnen wird, liegt trotzdem nicht nur an ihm. Denn was, wenn es nicht an den Individuen lag, dass die SPÖ auf so eine lange, stolze Geschichte zurückblicken kann? Und im Umkehrschluss nicht das Personal der Gegenwart schuld ist, dass die Partei jetzt in der Krise ist? Was, wenn die Strahlkraft mancher Ideen ein Verfallsdatum hat? Und sie zwangsläufig mit der Zeit verblasst, ohne dass dieser Prozess von Individuen aufzuhalten wäre?

Die Wien-Wahl wird Antworten auf diese Frage geben, die Sozialdemokraten in Österreich, in ganz Europa beschäftigen. In der roten Hauptstadt wird sich zeigen, ob die Sozialdemokratie eine Zukunft hat. Oder, ob das rote Wien endgültig zum Museumsstück wird.

#2 Angela Merkel

German Chancellor Angela Merkel arrives for an EU summit in Brussels, Thursday, Dec. 12, 2019. European Union leaders gather for their year-end summit and will discuss climate change funding, the departure of the UK from the bloc and their next 7-year budget. (AP Photo/Olivier Matthys)

Von Andreas Lieb

Ganz oben ist die Luft sehr dünn

Wenn sich Angela Merkel als deutsche Kanzlerin zurückzieht, hat das Folgen für ganz Europa. Die alten Achsen geraten zunehmend aus dem Lot..

Angela Merkel verlässt die große Bühne. Sie tut das langsam und bedächtig, aber sie lässt keinen Zweifel daran, dass es ihr ernst ist. Vor einem Jahr schon kündigte sie ihren Rückzug aus der Politik an, spätestens zum Ende der Legislaturperiode 2021 werde es soweit sein, sagte sie damals und untermauerte das mit einem ersten Schritt. Nach 18 Jahren an der Spitze übergab sie den CDU-Parteivorsitz an eine, die ihr in der Wesensart ähnlich ist. Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK, übernahm die Partei und sah sich unversehens auch in den Fußstapfen Merkels als Kanzlerin wieder; die sich als überaus groß erweisen sollten.

Als letzten Sommer der große Streit um die Spitzenjobs der EU am Höhepunkt war, fiel in Brüssel immer wieder der Name Merkel. Wenn sie sich schon aus der deutschen Politik zurückziehen wollte, wäre dann nicht vielleicht die EU etwas für sie? Ratspräsidentin etwa?

Sie winkte umgehend ab und bekanntlich kam tatsächlich alles anders. Aber der Wunsch, Merkel möge in der Europäischen Union weiter eine Rolle spielen, ist erklärbar. Das Gefüge aus 28 und bald nur noch 27 Staaten erinnert ein wenig an „Rubik‘s Cube“, den Zauberwürfel, dessen Inneres auf drei festen Achsen aufgebaut ist. Die EU, ein buntes Mysterium, das auf einem unsichtbaren stabilen Konstrukt errichtet ist. Zwischen Ost und West, Nord und Süd waren es bisher die vier großen, starken Länder, die oft (vielen freilich zu oft) den Weg vorgaben: Großbritannien und Italien, Frankreich und Deutschland.

Dieses Gefüge kommt jetzt aus dem Lot, ist es im Grunde schon. Großbritannien auf dem Absprung, schon gar nicht mehr da; Italien, für den Augenblick dem Klammergriff der Populisten entzogen aber mehr mit sich selbst (und seinem krachenden Budget) beschäftigt, Frankreich gebeutelt von Streiks und Gelbwestenbesänftigung mit einem einzelgängerischen Präsidenten. Und dann Deutschland, der Stabilitätsfaktor in der EU, dessen Langzeitkanzlerin demnächst Lebewohl sagt – was bleibt dann? Wenn Merkel geht, die Strippenzieherin, die mächtige „Mutti“, wer hat die Größe, ihren Platz in Europa und in der Welt einzunehmen? Deutschland sucht diesen Superstar, gefunden hat es ihn noch nicht. AKK, geschwind noch als Nachfolgerin von Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin installiert, oder ein anderer, Konkurrent Friedrich Merz, oder Markus Söder, oder Jens Spahn?

Auch die Deutschen haben inzwischen also genug mit sich selbst zu tun, sie müssen ihre eigene Regierung neu denken. In Europa entsteht ein Vakuum. Solange Angela Merkel noch im Spiel ist, funktionieren die alten Bilder: Merkel und Macron – mit Putin, mit Selenskyi, mit Trump. . . doch schon lauern andere, erheben Ansprüche, geben sich widerborstig – Polen, Ungarn, überhaupt die Visegrad-Staaten, die sich von den alten Seilschaften ausgeschlossen fühlen. Emmanuel Macron hat zuletzt immer wieder versucht, seine eigene Position auszubauen und das schwächer flackernde Licht Deutschlands zu überstrahlen. Macron war es, der den deutschen Spitzenkandidaten für die Nachfolge Jean-Claude Junckers, Manfred Weber, um das angestrebte Amt brachte und dafür Ursula von der Leyen, ebenfalls Deutsche, vorschlug, wohl abgenickt von Merkel – um der neuen Kommissionspräsidentin schon bei der ersten Gelegenheit, als die französische Kommissarskandidatin Sylvie Goulard vom EU-Parlament abgelehnt wurde, eines auszuwischen. Und Macron war es auch, der den von allen erwarteten Beginn der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien zu Fall brachte und damit den starken Mann in der EU hervorkehrte.

Merkel wird dieses Jahr noch durchziehen, Deutschland übernimmt im Juli den EU-Ratsvorsitz und aller Voraussicht nach fällt in diese Zeit das Finale für den wichtigen mehrjährigen Finanzrahmen; da wird die Kanzlerin mitmischen und unter denen sein, die die Weichen für die kommenden Jahre stellen. Die anderen großen Baustellen in der EU, etwa der „grüne Deal“, die Reform des Asylwesens, die Folgen der Digitalisierung, sind langfristige Projekte, die ohne sie stattfinden werden. Der Abgang Angela Merkels wird begleitet von einer schwierigen wirtschaftlichen Situation: die deutsche Autoindustrie ist schwer unter Druck, Tausende Arbeitsplätze wackeln. Aber das ist genauso auch ein europäisches Problem.

#3 Donald Trump

President Donald Trump listens during a roundtable on school choice in the Cabinet Room of the White House, Monday, Dec. 9, 2019, in Washington. (AP Photo/ Evan Vucci)

Von Franz Stefan-Gady

Trump hat freie Bahn für seine Wiederwahl

Der Präsident muss sich erstmals nicht mit der Amtsenthebung herumschlagen. In das Wahljahr 2020 kann er zuversichtlich starten.

In diesem Jahr wird sich Donald Trump weder mit einem Sonderermittler noch mit einem Amtsenthebungsverfahren herumschlagen müssen, sollte die Anklagepunkte im Jänner im Senat abgeschmettert werden. Damit hat der 73-Jährige freien Spielraum sich voll auf den Wahlkampf gegen seinen demokratischen Kontrahenten oder seine Kontrahentin konzentrieren zu können. Am 3. November wird das US-Volk entscheiden, ob es ein neues Staatsoberhaupt ins Weiße Haus einziehen lässt oder weitere vier Jahre vom 45. Präsidenten regiert werden möchte. Derzeit stehen die Zeichen aus Sicht des Republikaners nicht schlecht. Trump kann also mit politischer Zuversicht ins neue Jahr starten.

Denn 2019 wird in die Geschichte sein Präsidentschaft als das Jahr des Impeachments eingehen. Im Dezember stimmte das US-Repräsentantenhaus mehrheitlich dafür, solch ein Amtsenthebungsverfahren wegen der Ukraine-Affäre einzuleiten. Der New Yorker wird beschuldigt, gegen die Verfassung verstoßen zu haben, indem er die ukrainische Führung nötigte, seinen Wahlkampf gegen den früheren Vizepräsidenten Joe Biden zu unterstützen.

Trump ist erst der dritte US-Präsident, gegen den ein solcher Prozess eingeleitet wurde. Doch auch wie die Verfahren gegen zwei seiner Vorgänger, Andrew Johnson 1868 und Bill Clinton 1998, hat auch ein Impeachment 2020 wenig Chancen auf Erfolg. Die Zweidrittelmehrheit im Senat, dominiert von Trump-treuen Republikanern, die notwendig ist den Präsidenten seines Amts zu entheben, dürfte kaum erreicht werden. Alles deutet darauf hin, dass Trump in den ersten Jännerwochen von den beiden Anklagepunkten des Machtmissbrauches und der Kongressbehinderung im Senat freigesprochen wird.

Schnell vergisst man im Zeitalter eines twitterten Präsidenten, der jeden Morgen in den sozialen Netzwerken für reichlich Aufregung sorgt und dessen Kurznachrichten oft den gesamten Nachrichtenzirkel in den USA dominieren, dass die Ukraine-Affäre erst seit wenige Monaten eine Rolle im Amtsenthebung-Schauspiel in Washington spielt.  Bis Mitte des Jahres hieß die Galionsfigur jener Demokraten, die ein Amtsenthebungsverfahren befürworteten, Robert Mueller. Seit Mitte 2017 untersuchte er als Sonderermittler eine Verbindungen von Trump und seinem Wahlkampfteam zu Russland. Das eiserne Schweigen Muellers dominierte die Berichterstattung in der ersten Hälfte.

Zweimal aber hielt Washington den Atem an: Zunächst im März beim Abschlussbericht („Mueller-Report“) an das Justizministerium. Und dann im Juli bei Muellers Aussage vor dem Kongress. Groß war die Enttäuschung bei den Gegnern, als klar wurde, dass es keine stichhaltigen Beweise gibt, dass Trump und russischen Stellen zusammengearbeitet haben, um die Wahl zu manipulieren.

Gleichzeitig besagte der Report, dass ein amtierender Präsident keines Verbrechens angeklagt werden kann, obwohl es Beweise für eine Justizbehinderung gibt. Hoffnungen, dass durch den Mueller-Bericht ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden könnte, waren vergebens.

Nun also hoffen seine Widersacher auf den Wähler. Noch ist nicht ausgemacht, wer den Amtsinhaber herausfordert. Bernie Sanders, Biden, Elisabeth Warren und Pete Buttigieg werden als Favoriten unter den verbliebenen 14 Kandidaten gehandelt. Ob der New Yorker Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg mit seinem verspäteten Eintritt in den Vorwahlkampf der Demokraten Chancen hat, ist noch unklar. Es ist vor allem niemand darunter, der die Wähler in der Mitte des Spektrums, die zwischen Demokraten und Republikanern hin- und herpendeln, wirklich elektrisiert. Dahinter steckt das Dilemma, dass die Demokratische Partei selbst nicht genau weiß, wofür sie 2020 steht.

Das aber ist Trumps großer Trumpf. Denn bei ihm weiß man genau, was man bekommt. Das aber könnte für die Demokraten zur größten Falle werden. Dass sie hauptsächlich – wie bisher – über Trump selbst sprechen, statt sich auf die wichtigen Sachthemen zu konzentrieren. Denn einzig ihre Geschlossenheit gegen Trump eint sie bislang.

Am 3. Februar 2020 wird der Bundesstaat Iowa die Vorwahlen der Demokraten einläuten, genau einen Monat später wird beim so genannten „Super Tuesday“ mit Abstimmungen in 14 Bundesstaaten feststehen, wohin der Wahlkampf inhaltlich geht.

#4 Warren Buffett

Warren Buffett speaks to the media during a press conference Monday, June 26, 2006 in New York.  Buffet, the chairman of Berkshire Hathaway, recently announced his intention of giving 10 million shares of his company to charitable organizations, the majority going to the Bill and Melinda Gates Foundation.  (AP Photo/Seth Wenig)

Von Manfred Neuper

Scharfer Blick in eine abgestumpfte Finanzwelt

US-Investor Warren Buffett wird im August 90 – sein stattliches Alter ändert aber nichts an seinem globalen Gewicht als viel beachteter Trendsetter und Mahner auf den Finanzmärkten.

In der Musik beschreibt der Begriff des „Evergreens“ ein Lied, das irgendwie nie aus der Mode kommt. Auf dem bisweilen äußerst glatten Parkett der Finanzmärkte sind Dauerbrenner eine rare Spezies, viele vermeintliche Börsen-Stars kamen aus dem Nichts, wurden gefeiert – und verglühten. Die Antithese zu dieser Schnelllebigkeit verkörpert seit Jahrzehnten Warren Buffett. Das „Orakel von Omaha“, der „Börsen-Guru“ und „Star-Investor“ wird am 30. August 90 Jahre alt, das globale Gewicht seiner Investitionsentscheidungen und seiner Anlageprinzipien ist dennoch ungebrochen. Und das will etwas heißen.

Die vielfach turbulenten Entwicklungen an den Finanzmärkten waren eines der dominierenden Themen der vergangenen Jahre – und, so viel lässt sich prognostizieren, daran wird sich im neuen Jahr kaum etwas ändern. Die Konstanten sind rar geworden, sieht man von der anhaltenden Null- bis Niedrigzinspolitik der internationalen Notenbanken ab. Was die Sparer belastet, sorgte an den Börsen im abgelaufenen Jahr für Kursfeuerwerke. Lässt sich diese Euphorie an den Aktienmärkten heuer fortsetzen? Die konjunkturellen Rahmenbedingungen bleiben schwierig, das wirtschafts- und geopolitische Umfeld wohl ebenfalls.

Hier schließt sich der Kreis zum bald 90-jährigen Warren Buffett. Seine Karriereschritte vom Zeitungsboten zum Architekten des Investmentvehikels „Berkshire Hathaway“, zu einem der reichsten Menschen der Welt, „Forbes“ schätzte sein Vermögen zuletzt auf 85 Milliarden Dollar, sind legendär. Seine Börsenweisheiten ebenso. „Kurzfristig ist der Markt ein Schönheitswettbewerb, langfristig ist er eine Waage“, ist einer seiner Leitsätze. Flüchtiger Aktionismus ist ihm ein Gräuel, seine These lautet: „Die Zeit ist der Freund toller Unternehmen und ist der Feind der mittelmäßigen.“

Ein Zugang, den er seit jeher auf das Börsengeschehen ummünzt: „Eine Aktie, die man nicht zehn Jahre zu halten bereit ist, darf man auch nicht zehn Minuten besitzen.“ In Zeiten, in denen der automatisierte Hochfrequenzhandel und bisweilen komplexe, hochriskante Finanzinstrumente die Märkte fluten, scheinen derlei Grundsätze wie aus der Zeit gefallen – doch Buffetts Lehren sind dennoch aktueller denn je. Das gilt etwa auch für folgenden Befund: „Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer ohne Badehose schwimmen gegangen ist.“

Mit einer Herausforderung, die die Finanzmärkte auch in diesem Jahr massiv beschäftigen wird, kämpft freilich auch Ikone Buffett. Die seit Jahren weit geöffneten Geldschleusen haben bei vielen Investoren zu „Geldproblemen“ der anderen Art geführt. Buffetts Berkshire Hathaway saß zuletzt auf überschüssigen Cash-Reserven im Rekordwert von 128 Milliarden Dollar. Auf den ersten Blick gleicht dieses Dilemma einer Problemstellung des Zuschnitts, „diese Sorgen möchten wir haben“. Doch tatsächlich ist Buffetts wachsender Geldberg kein Ausnahme-Phänomen, es zeigt sich global, wenn auch in unterschiedlicher Dimension. Es ist enorm viel Liquidität am Markt, was insbesondere in den USA zu teils sehr hohen Aktienbewertungen geführt hat.

Die Suche nach lohnenden Unternehmen, die auch den Preisvorstellungen von Buffett entsprechen, wird immer herausfordernder. Schließlich lauten zwei seiner am häufigsten zitierten Investitionsregeln: „Der dümmste Grund eine Aktie zu kaufen, ist, weil sie steigt” und „Seien Sie ängstlich, wenn die Welt gierig ist und seien Sie gierig, wenn die Welt ängstlich ist”. Vor dieser Kulisse birgt jedenfalls das neue Börsenjahr 2020 jedenfalls enorm viel Spannung.

Auch abseits des eigenen Veranlagungshorizonts hat Buffett Marktentwicklungen, vor allem aber auch Fehlentwicklungen, häufig schon sehr früh kritisch beobachtet. Bereits Jahre vor der großen Finanzkrise hat er etwa bestimmte Formen des Derivatehandels als „Massenvernichtungswaffen“ klassifiziert oder Hedgefonds aufgrund ihrer absurd hohen Renditeversprechen mit „Rattenfängern“ verglichen. Die Kryptowährung Bitcoin ist für ihn gar „Rattengift hoch zwei“.

#5 Jug & Freithofnig

Jahresvorschau Interview Raimund Freithofnig Klagenfurt Dezember 2019

Von Thomas Cik

Den Konsens in die nächste Generation tragen

Die Kärntner Volksabstimmung jährt sich zum 100. Mal. Wie Raimund Freithofnig und Manuel Jug versuchen, nicht in den Geist der Vergangenheit zu verfallen.

Wie alt das Land Kärnten heuer wird, ist kaum jemandem bewusst – und vermutlich auch historisch nicht klar zu definieren. Soll man da ansetzen, als man vor 1044 Jahren zum eigenen Herzogtum wurde? Oder früher, bei den ersten urkundlichen Erwähnungen? Die meisten setzen ohnehin später an. Gerne etwa am 10. Oktober vor genau 100 Jahren. An diesem Tag erlang Kärnten seine territoriale Integrität zurück und, zumindest in der Retrospektive, so etwas wie Identität. Seither ist der Tag der Kärntner Volksabstimmung der Landesfeiertag – in wechselnden Schattierungen, oftmals Verklärungen.

Rechtzeitig zum 100er scheint der 10. Oktober sich der dumpfen nationalen Erhöhung entzogen zu haben, auch weil mittlerweile Generationen nachgewachsen sind, die sich diesen Debatten entzogen haben. Raimund Freithofnig und Manuel Jug sind zwei davon. Der eine, Jugendvertreter beim Kärntner Heimatdienst, der andere, Vorsitzender des Zentralverbands slowenischer Organisationen, einer der drei großen Slowenenorganisationen. Der eine engagiert in der Jungen Volkspartei, der andere ist bekennender Sozialdemokrat. Wenn sie gemeinsam auftreten, wecken sie in ihrer Bipolarität Erinnerungen an das Konsens-Duo Josef Feldner und Marjan Sturm. Nur irgendwie 2.0. In den 1970ern waren Feldner für den Heimatdienst und Sturm für den Zentralverband die Scharfmacher im Ortstafelstreit, in den 2000er Jahren fanden sie über das Reden zueinander.

Doch dort, wo Feldner und Sturm sich erst zaghaft annähern mussten, um vor neun Jahren die Ortstafellösung aufzubereiten, sahen die beiden Jungen nie ein Problem. Beide sind 22 Jahre alt, in der EU geboren, Grenzkontrollen am Loibl und in Arnoldstein kennen sie vom Hörensagen. „Ich wurde nie in meinem Leben als Jugo beschimpft oder musste mir etwas Negatives anhören, weil ich Slowenisch spreche“, sagt Jug, der in Zell/Sele aufgewachsen ist. Und Freithofnig fragt mit gekonnt gesetzten Pausen: „Warum genau soll man Angst vor einer slowenischen Ortstafel haben?“ Er selbst stammt aus Velden. Wenige Meter vom Hotel seiner Familie entfernt gibt es ein Schild: „Bis hierher und nicht weiter kamen die serbischen Reiter.“ Es erinnert an den – militärisch nicht sonderlich erfolgreichen – Abwehrkampf am Ende des Ersten Weltkriegs, der der Volksabstimmung voran gegangen ist. Eine Erinnerung, die beide hoch halten wollen: „Man kann Tradition nicht einfach in einen Tresor sperren und das war es dann“, sagt Jug, der in Klagenfurt Lehramt studiert. Nur: Ein Verharren bedeutet das auch nicht. „Die Umstände haben sich gewandelt“, sind sie sich einig. Was bleibt sind Eckpunkte. „Die Volksabstimmung war einer der wenigen Anlässe, als ein Volk sich selbstbestimmt entscheiden konnte, welchem Staat es angehören will“, rezitiert Freithofnig, Student für Public Management an der FH Kärnten, die Geschichtsbücher. Daran müsse man in Dankbarkeit erinnern.

In diesem Jahr beginnen die Feierlichkeiten zur Volksabstimmung bereits ab März, der Terminplan der beiden Jugendvertreter hat schon jetzt mehr Einträge als Lücken. 1,35 Millionen Euro lässt sich das Land den offiziellen Festreigen unter dem Titel „CarinthiJa 2020“ kosten. Der Höhepunkt wird freilich dennoch die Feier am 10. Oktober 2020 in Klagenfurt – statt eines Festumzugs durch die Landeshauptstadt soll es ein zeitgemäßes „Fest der Täler“ werden.

Die Erwartungshaltung an dieses Jahr? „Ich bin zuversichtlich, dass das ein schönes Heimatfest für alle Kärntner werden wird“, sagt Jug. Heimat. Im Jahr 2020 ist die Verwendung dieses Wortes für einen Kärntner Slowenen eine Selbstverständlichkeit. Und so solle es bleiben. „Gerade weil wir nie diese Anfeindungen und Ängste erfahren haben, wollen wir den Dialog zwischen den Volksgruppen in der nächsten Generation fortführen“, sagt Freithofnig. Es klingt nach Politikersprache, hat aber auf Nachfrage doch mehr Tiefgang. Denn auch wenn die jungen Volksgruppenvertreter selbst die Gräben in der Bevölkerung nicht wahrgenommen haben: Sie wissen darum, dass der Konsens vielleicht fragiler ist, als er im Moment scheint.

„Man sagt ja, dass Demokratie in jeder Generation neu gelernt werden muss“, führt Jug aus und Freithofnig ergänzt: „Und genau so muss auch der Dialog unter den Volkgsruppen immer wieder neu geführt werden.“

#6 Martschitsch & Osprian

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Von Rainer Brinskelle und Harald Hofer

Die Karten werden völlig neu gemischt

Am 22. März wählen die Steirerinnen und Steirer ihre Gemeinderäte. Für Voitsbergs Bürgermeister Bernd Osprian und Hartbergs Marcus Martschitsch und wird es spannend.

Der in dunklem Holz getäfelte Sitzungssaal im Hartberger Rathaus wird nach der Gemeinderatswahl nur eine Sitzung der Stadtpolitiker erleben. Der denkmalgeschützte Raum aus dem Jahr 1898 dient einzig als festliche Kulisse für die Konstituierung eines neuen Stadtparlaments. Seit 2009 finden die Gemeinderatssitzungen im größeren Bürgersaal, rund 100 Meter vom Rathaus entfernt, statt.

Die Übersiedlung sollte den Gemeinderäten, die sich seither im Oval gegenüber sitzen, eine bessere Kommunikation ermöglichen. Das Klima blieb über die Jahre aber zerrüttet. ÖVP-Bürgermeister Marcus Martschitsch hat seit zwei Jahren keine Mehrheit. Zunächst traten vier Gemeinderäte aus dem ÖVP-Klub aus, dann kündigte die SPÖ die Koalition auf. Die auf drei Mandatare geschrumpften ÖVP-Rebellen bildeten mit SPÖ, Grünen und FPÖ den sogenannten Zukunftspakt, der 15 der 24 Stimmen (ein Neos-Mandat ist frei) hält. Martschitsch muss Kompromisse eingehen, um Ideen durchsetzen zu können – oder widerwillig Mehrheitsbeschlüsse des Pakts ausführen.

Einen Wechsel ganz anderer Art gab es 2019 in der weststeirischen Stadt Voitsberg. Nach 22 Jahren verabschiedete sich Bürgermeister Ernst Meixner (SPÖ) im Juli in die Pension. Zu seinem Nachfolger machte er unorthodoxerweise aber niemanden vom eigenen „Hof“, sondern Bernd Osprian, bis dahin Oberhaupt der Nachbarstadt Bärnbach. Letztlich war diese Aktion der Plan B, um den intern bereits länger geplanten Bürgermeisterwechsel zu vollziehen. Legitimiert werden sollte die Rochade durch die freiwillige Fusion der Städte Voitsberg und Bärnbach als ersten Schritt zur seit Jahren geforderten großen Stadt im Kernraum. Mit einer Befragung der Bürger der beiden Städte im November 2018 sollte das Vorzeigeprojekte auf Schiene gebracht werden. Während in Voitsberg die Beteiligung mit 21,05 Prozent gering, die Zustimmung der Befragungsteilnehmer mit 84,01 Prozent aber außergewöhnlich hoch war, zeigte sich in Bärnbach ein anderes Bild. Dort nahmen 40 Prozent der Wahlberechtigten an der Befragung teil, allerdings sprach sich mit knapp 55 Prozent die Mehrheit gegen eine Städtefusion aus – das Vorhaben musste ad acta gelegt werden. Osprian trat trotzdem die Nachfolge von Meixner an, was für viel Kritik sorgte. Weil Osprian seinen Wohnsitz offiziell nach Voitsberg verlegte, war der Wechsel rechtlich aber wasserdicht.

Für Bürgermeister Martschitsch bedeutet 2020 eine Schicksalswahl. Er hatte das Amt 2016 von seinem Vorgänger Karl Pack übernommen, der 13 Jahre zuvor mit besten Voraussetzungen gestartet war. Unter seiner Führung verkaufte die Stadt die zuvor gemeindeeigene Sparkasse an die „Steiermärkische“. 65 Millionen Euro flossen in die Stadtkasse, die in den darauffolgenden Jahren mit vollen Händen ausgegeben wurden.

Pack und die ÖVP verloren 2010 dennoch die Mehrheit im Gemeinderat. Bis 2015 gab es eine Koalition mit der FPÖ, danach mit der SPÖ. In der ÖVP begannen die Zentrifugalkräfte zu wirken. Als Martschitsch das Amt übernahm, kam dazu, dass die Stadt finanziell darniederlag. Es musste ein Sanierungskurs eingeschlagen werden.

Die ÖVP hat in Hartberg bei der Landtagswahl 48,18 Prozent geholt. Ein Potenzial, dass es für Martschitsch zu nutzen gilt, will er Bürgermeister bleiben. Sollten die abgesprungenen ÖVP-Gemeinderäte mit einer Liste antreten, die Grünen ihre Stärke behaupten sowie SPÖ und FPÖ ihre Wähler halten, könnte es eng werden. Der ÖVP außerdem weh tun würde, falls die Neos neuerlich in der Stadt antreten.

Spannend wird es auch für Osprian. Denn am 22. März stellt er sich das erste Mal in Voitsberg einer Wahl. Dann steht nicht nur er als Person, sondern wohl auch die Bürgermeisterrochade per se bei den Bürgern am Prüfstand. So oder so bröckelt die absolute Mehrheit der SPÖ. Denn 2015 verloren die Roten 1,6 Prozentpunkte und holten mit 51,46 Prozent nur hauchdünn die „Absolute“. Auf Platz zwei und drei folgten ÖVP (17,7 Prozent) und FPÖ (14,96 Prozent). Und die Frage ist, wie viele aus Osprians neuem „Hofstaat“ in der Vorwahlzeit für ihn wahlwerben.

Am 22. März wird – nach der Auflösung von Murfeld – in 285 steirischen Gemeinden gewählt. Nur in der Landeshauptstadt Graz müssen die Wähler voraussichtlich erst wieder 2022 zur Urne schreiten.

#7 Marko Arnautović

ABD0114_20191116 - WIEN - ÖSTERREICH: Marko Arnautovic (AUT) während des Fußball-EM-Qualifikations-Spieles Österreich - Nordmazedonien, am Samstag, 16. November 2019, in Wien. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Von Hubert Gigler

Ganz Europa „fliegt“ auf Fußball

Bei der Fußball-Europameisterschaft werden die Teilnehmer viel CO2 verbrauchen. Marko Arnautovic zahlt das aus der Portokasse.

Erinnern Sie sich noch an Dennis Bergkamp? Der inzwischen 50-jährige Niederländer war zu seiner Zeit einer der besten Stürmer Europas. Fast noch berühmter wurde der Fußballer allerdings durch ein „Leiden“, das im Fachjargon „Aviophobie“ oder ganz simpel Flugangst genannt wird. Einschlägigen Erhebungen zufolge wird im deutschsprachigen Raum bei etwa 15 Prozent der Bevölkerung der Traum von der Grenzenlosigkeit in eine die Sinne einengende beklemmende Freiheitsstrafe umgewandelt. Es ist also davon auszugehen, dass sich viele Menschen, und daher auch Fußballprofis diesbezüglich nicht outen.

Von Marko Arnautovic ist dergleichen nichts bekannt. Und Österreichs bester Kicker könnte seine Fähigkeiten wohl kaum im gewünschten Maß ausspielen, müsste er jede Flugmeile zuerst einmal gedanklich verarbeiten. Der 30-Jährige darf in diesem Jahr zumindest aus österreichischer Perspektive die Lufthoheit für sich beanspruchen. Bei Reisen zur Nationalmannschaft wird der Boden-Regisseur seit seinem Transfer nach China zum permanenten Langstreckenpassagier. Solche Gewohnheiten dürften Arnautovic bei der Endrunde der Europameisterschaft durchaus zugutekommen, denn in erster Linie werden viele für dieses Turnier qualifizierten Fußballer zum Abheben vergattert. Die Euro 2020 wurde zum multinationalen Event erklärt.

Wenn sich das ÖFB-Nationalteam im März zum ersten Mal in diesem Jahr versammelt, hat Arnautovic schon gewaltige Distanzen bewältigt. Denn abgesehen von diversen Heimaturlauben – die chinesische Meisterschaft ruht seit 1. Dezember und nimmt Anfang März den Betrieb wieder auf – ist der Floridsdorfer mit seinem Klub Shanghai SIPG auch schon von einem Trainingslager in Australien zusätzlich gestählt. Bei der Europameisterschaft stehen dann vergleichsweise kurze Ausflüge auf dem Programm, doch in Summe kommt da schon was zusammen.

Österreich und damit auch sein Topkicker fliegt zuerst nach Bukarest, um einen erst im März bekannten Gegner zu bespielen, macht sodann einen Abstecher nach Amsterdam, wo die Niederlande auf die ambitionierten Österreicher warten, und kehrt am letzten Spieltag der Gruppenphase wieder in die rumänische Hauptstadt zurück. Dort könnte im schlimmsten Fall der Gastgeber warten. So schlecht haben es die rot-weiß-roten Fußballer damit aber gar nicht getroffen. Die Schweizer etwa müssen zwischen Rom und der mehr als 3000 Kilometer (Luftlinie) von der Ewigen Stadt entfernten aserbaidschanischen Metropole Baku hin und her jetten. Dieses Beispiel ist allerdings ein Extremwert, ansonsten sind die Distanzen einigermaßen überschaubar.

Der grundsätzlich gut gemeinten Idee, das vereinte Europa durch ein gemeinsames Turnier im Fußball abzubilden, steht die angesichts des Klimawandels anachronistisch anmutende (scheinbar) exzessive Reisetätigkeit gegenüber. Darauf zielt großteils die Kritik an der Veranstaltung ab, sie reicht von Verurteilung bis hin zu Ablehnung. Doch unter diesem Aspekt hätten auch andere längst abgewickelte Großereignisse ihre Daseinsberechtigung verwirkt. Englands Team etwa flog bei der WM 2014 in Brasilien von Sao Paulo aus ins Herz der Amazonas-Region nach Manaus (2600 km), Flüge um die 2000 Kilometer gehörten bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland zum herkömmlichen Maß.

Die qualifizierten Gastgeber gehören dennoch zu den besonders Privilegierten, denn die Deutschen, die Engländer, die Italiener und auch die mit Österreich in die Gruppe C gelosten Niederländer dürfen in der Gruppenphase all ihre Spiele im gleichen Stadion bestreiten. Sie müssen sich also kaum vom Fleck bewegen, außer auf dem Platz natürlich. Diejenigen, die gezwungenermaßen zu den größeren Verbrauchern im Lufthaushalt gehören, können sich in Zeiten wie diesen aber freikaufen. Eine Tonne CO2 wird derzeit mit 40 bis 80 Euro, also im Schnitt 60 Euro gehandelt, das entspricht 6000 Flugkilometer pro Person. Für einen Wochenlohn (220.000 Euro) könnte Arnautovic auf diese Weise für ein reines Umweltgewissen 22 Millionen Kilometer im Flugzeug zurücklegen, also rund 500 Mal die Erde auf Höhe des Äquators umrunden. Es ist die pure Absurdität in nackte Zahlen gegossen. Einfach entblößend.

#8 Billie Eilish

Billie Eilish attends the 2019 Variety's Hitmakers Brunch at Soho House on Saturday, Dec. 7, 2019, in West Hollywood, Calif. (Photo by Richard Shotwell/Invision/AP)

Von Julian Melichar

Skeptisch in die Zukunft, mutig in die Vergangenheit

Wieso der große Weltschmerz im Pop auch im neuen Jahr anhalten wird und was Billie Eilish mit einem traurigen Clown gemein hat.

Die „Roaring Twenties“, also die brüllenden Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts, jähren sich heuer zum hundertsten Mal. Dieses Jubiläum ist ein guter Anlass, um dem musikalischen Status Quo der Pop-Kultur auf den Zahn zu fühlen. Was blieb von damals übrig? Wiederholt sich die Geschichte? Was ist der letzte Schrei im Jahr 2020? In der jüngsten Pop-Musik stößt man allerdings keine Freudenschreie aus, sondern stimmt Klagelaute an.

Das ist auch das Ergebnis einer Studie der University of California, die dafür fünfhunderttausend Pop-Songs auswertete. Unterhaltungsmusik wird trauriger. Das ist in der Tat seit Jahren hörbar. Seinen breitenwirksamen Ausgang nahm die Wende mit der melancholisch-pessimistischen Stimmung und Stimme von Lana Del Rey. Bereits 2012 feierte die Sängerin aus New York ihr Debüt. Ihr erstes Album hieß wenig zukunftsversprechend „Born To Die“. Verglichen mit glitzernden Pop-Vertretern der Britney-Spears-Ära war dieses Statement gewagt. Eine weitere Stimme der Generation „Weltskepsis“ verschaffte sich 2017 Gehör. Es war die neuseeländische Lorde mit ihrem aussagekräftigen Album „Melodrama“. Ein Lied namens „Green Light“ wurde von ihrem Produzenten im Vorfeld aufgrund des unüblichen, im Pop nicht geläufigen Songschemas abgelehnt. Das Lied avancierte zum Welthit.

Ein Blick auf den Überflieger des abgelaufenen Jahres, Billie Eilish, stützt die Studie der University of California. Die erst 17-jährige Sängerin aus Los Angeles stellte mit ihrem Debüt den gesamten Musikbetrieb auf den Kopf. „Wir sind alle verdammt traurig, all diese Künstler in der Szene“, klagte Eilish in einem Interview und markierte damit ein Umdenken. Dass die gepflegte Tristesse in der Kunst allerorten Hof hält, ist nicht wirklich neu. Was jedoch auffällt, ist die neue Verletzlichkeit in einem Genre, das primär der Unterhaltung, ja, der Ablenkung, dem Eskapismus vom zermalmenden Alltag dient.

Es ist die Verletzlichkeit des tragikomischen Clowns, der zwar nach wie vor geschminkt auf die Bühne tritt, aber keinesfalls mehr ohne Eingeständnis auskommen möchte. Mit ihrer burschikosen, unbedarften Haltung bringt Eilish diese Einstellung mit etwas Verspätung auf den Punkt. Dabei ist die sensible Ausrichtung der Populärmusik gar nicht abwegig. Denn: Wir leben in einer erodierenden, von großen Veränderungen geprägten Welt. Jeder fühlt sich verunsichert. Da hilft es natürlich zu hören, dass es dem „Star“ gleich ergeht. Der neue Mainstream präsentiert sich mittlerweile ohnehin als Antithese des Pop.

Viele verschiedene Einflüsse ergeben heutzutage den Hauptstrom. Die Seitenarme dieses Flusses fließen aus unterschiedlichen Zeit- und Stilepochen zu. Pop ist verschiedenen Gezeiten gleichzeitig ausgesetzt. Pop ist heute Rap, Electronic oder Rock. Alles ist erlaubt. Das Stöbern in der Mottenkiste der 80er-, 90er- oder 2000er-Jahre. Der Popstar in Gestalt des düster schillernden Harlekins wird 2020 noch nachdrücklicher völlig zusammenhanglose Kleider anprobieren und daraus ein passendes Outfit basteln. Auch im deutschsprachigen Raum wagen Künstler den Gang zurück ins Kinder- bzw. Jugendzimmer. Bislang jedoch vorrangig in alternativen Musik-Sparten, wo die geradlinige Gitarrenmusik der Neunziger wieder Einzug hält. Der Popsektor hinkt der englischsprachigen Szene noch nach.

Die Musik im neuen Jahr wird den Schulterschluss zwischen analoger und instrumentaler Musik und digitaler Produktion weiter vorantreiben. Natürlich mit der bereits lautstark vernehmbaren Portion Weltschmerz. Die Vorboten ließen sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem im englischen Sprachraum hören, wo heitere, elektronische Indie-Songs rauen, widerspenstigen Kahlschlag-Werken eines wiederauferstandenen Punk-Genres weichen mussten. Wie aufregend frei und gleichzeitig beängstigend grotesk so ein Zusammenspiel aus analoger und digitaler Musik sein kann, zeigt ein weiterer Einfluss: Die künstliche Intelligenz. Die amerikanische Experimental-Komponistin Holly Herndon musiziert mithilfe dieser Technologie. Die fragmentarisch vorliegende zehnte Beethoven-Symphonie soll heuer mit der Unterstützung von Prozessoren vollendet werden. Was in der Musikwelt von damals übrig blieb? Scheinbar ziemlich viel.

#9 Markus Duesmann

FILE - In this Wednesday, March 21, 2018 file photo then member of the board of the German car manufacturer BMW, Markus Duesmann, attends a press conference in Munich, Germany. German automaker Audi says former BMW executive Markus Duesmann is to become its new chief executive. Audi said Friday that the 50-year-old succeeds current CEO Bram Schot on April 1, 2020. (AP Photo/Matthias Schrader, file)

Von Didi Hubmann

Der Marathon seines Lebens

Auf Markus Duesmann blickt die Autobranche 2020. Er soll aks künftiger Audi-Chef die Marke neu erfinden. Kann das funktionieren?

Der designierte Audi-Chef Markus Duesmann wird die Kondition, die er sich als Läufer aufgebaut hat, in den nächsten Jahren sehr gut brauchen können. Auf ihn wartet mit Dienstbeginn am 1. April 2020 ein Business-Ultramarathon: Die Ingolstädter Edelmarke wieder auf Kurs zu bringen ist derzeit die schwierigste, aber auch verlockendste Aufgabe der Branche. Wenn es sogar die Edelmarke Audi in den Strudel einer Krise reißen kann, ist das ein deutliches Zeichen. Weil Audi für die ungewisse Zukunft einer ganzen Industrie steht, die sich neu erfinden muss.

Wie schon vor über 30 Jahren. Damals begann der legendäre Ferdinand Piëch das biedere Image von Audi zu entrümpeln, er erkor den Slogan „Vorsprung durch Technik“ zu einem inhaltlichen, realen Credo. Unter Martin Winterkorn wuchs Audi weiter zum Paradebeispiel für den Wandel einer Marke. Außerdem wurde man zum wichtigsten Ertragsbringer des Volkswagen-Konzerns. Und Audi schickte sich doch tatsächlich an Mercedes und BMW zu überholen. Doch nicht zuletzt der Dieselskandal holte die Ingolstädter zuletzt brutal von der Überholspur, auch die Leidenschaft, die Begehrlichkeit bei den Kunden ließ nach, wie man an den weltweiten Verkaufszahlen ablesen konnte.

Für einen Sanierungsfall ist man zwar nach wie vor zu erfolgreich und verdient Geld mit exzellenten Autos – doch es ist nicht abwegig den Eingriff von Konzernchef Herbert Diess als veritable Notbremsung einzuschätzen: Er setzte seinen ehemaligen BMW-Kollegen Duesmann (50) an die Spitze, mit Hildegard Wortmann und Sabine Maaßen kommen erstmals zwei Frauen in den Audi-Vorstand. Das Risiko den Vorstand für den Neustart komplett auszuwechseln, hat man im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung bewusst in Kauf genommen. Die Audi-Wurzeln könnten einigen fehlen, was Veränderungsprozesse verlängern kann.

Audi und der Betriebsrat einigten sich außerdem auf einen sogenannten Zukunftspakt für das unter Druck stehende Unternehmen. 9500 Stellen sollen abgebaut werden. Das Unternehmen erhofft sich von den Maßnahmen Einsparungen von insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2029. Auf der anderen Seite sollen 2000 Jobs im digitalen Bereich entstehen.

Duesmann ist in diesem Audi-Projekt, auf das die ganze Branche schaut, mehr als ein Lippenbekenntnis, einen neuen Weg bei den Ingolstädtern einzuschlagen. Der passionierte Motorradfahrer gilt als Spezialist in Sachen Antriebsstrang, Fahrdynamik, Fahrassistenzsysteme. Themenfelder, die Audi weiter und noch stärker besetzen will.

Er war unter anderen für Daimler tätig, hat eine starke Affinität zum Motorsport, arbeitet auch für das BMW-F1-Projekt, verantwortete danach diverse Entwicklungsbereiche, ehe er zum Einkaufsvorstand von BMW berufen wurde. Besonders wichtig, aber: Er kam nie mit den Dieselskandal in Berührung und sein BMW-Kurs weit weg von den Beschaffungs-Untiefen der E-Mobilität galt als vorbildhaft. Zum Beispiel übernahm BMW die Kobalt-Beschaffung selbst, schaltete so Zwischenhändler, die aus dubiosen Quellen Rohstoffe beziehen (Kinderarbeit etc.), aus.

Duesmann, der Maschinenbauer aus Westfalen, besitzt noch dazu exzellenten Ruf als Allrounder. Auch diese Eigenschaft gilt als essentiell für den Audi-Job: Elektrifizierung, Digitalisierung, Vernetzung, Over-the-Air-Updates (wie bei einem Computer oder dem Handy), neue Geschäftsmodelle – Audi wird in einen disruptiven Wandelprozess getrieben, wie alle klassischen Autohersteller. Und in anderen Bereichen, wie dem autonomen Fahren, läuft man Gefahr, von der Konkurrenz eingeholt zu werden. Der A8 zum Beispiel kann heute mehr als gesetzlich erlaubt ist, die Funktionen sind deshalb nicht frei geschaltet.

Dazu kommt, dass im VW-Konzern die technische Pionier-Rolle von Audi nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird. Das soll sich ändern:  „Markus Duesmann wird alles daransetzen, die großen Potenziale der Marke Audi zu heben“, sagt etwa Herbert Diess. Die von Diess und dem Volkswagen-Konzern vorgegebene Elektroauto-Strategie birgt aber Chancen wie Risiken, bis 2025 soll die Marke mit den vier Ringen ein Drittel des Portfolios elektrisch betreiben. Man wird außerdem enger mit Porsche zusammenarbeiten.

Eine der wichtigsten Aufgaben für Duesmann wird es aber sein, Ruhe in die Audi-Welt zu bringen. Audi ist seit der Aufdeckung des Dieselskandals im September 2015 immer wieder in den Schlagzeilen, mit jedem Verfahren (etwa gegen Ex-Vorstandschef Stadler) werden die alten Wunden wieder aufbrechen. Dazu hatte das Unternehmen eine hohe Fluktation. Sechs Entwicklungschefs verschliss Audi alleine in den vergangenen sieben Jahren, Duesmann wird ebenso als Moderator gefragt sein.

Aber Duesmann weiß auch, dass dieser Marathon ihn weiter bringen kann als jeder andere Job – wenn er es bis ins Ziel schafft und Audi dorthin gebracht hat, wo man noch vor einigen Jahren unterwegs war.

#10 Wonder Woman

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Von Julia Schafferhofer

Achtung, Superheldinnen im Anflug

2020 startet eine neue Hollywood-Ära: Fünf der größten Blockbuster drehen sich um Kämpferinnen, Regie führten dabei Frauen.

Gal Gadot hat 2017 Superheldinnengeschichte geschrieben: mit Mitgefühl, Klugheit und intelligent charmanter Naivität. Als „Wonder Woman“ bewies sie erstens, dass Frauen auf der Leinwand nicht nur als Komplizinnen, sondern auch als Vorkämpferinnen und Titelstars die Welt retten können. Und zweitens, dass sich mit Blockbustern, inszeniert von Frauen (in diesem Fall Patty Jenkins als erste Regisseurin einer Comicverfilmung) auch an den Kassen triumphieren lässt. Und wie! Der Actionstreifen spielte am Startwochenende mehr als 100 Millionen US-Dollar ein, adelte sich an die weltweite Spitze und erreichte bei der Kritikerplattform „Rotten Tomatoes“ den ausgezeichneten Wert von 93 Prozent Zustimmung.

Diesem Blockbuster-Durchbruch folgte im Oktober der große Aufbruch, als mit Harvey Weinsteins Belästigungen erste Berichte über den Hollywoodmogul erschienen, die das Bild eines skrupellosen Mannes zeichnen, der Frauen gegenüber seine Macht schamlos ausnutzt. Unter dem Hashtag #MeToo begannen sich berühmte Opfer und später Frauen und Männer weltweit zu solidarisieren. Auch wenn Weinstein, der Job und Firma verlor, sich in den letzten Monaten wieder verteidigend zu Wort meldete und zuletzt ein vielleicht wenig rühmlicher Ausgleich mit 25 Anklägerinnen angestrebt worden war – das Bewusstsein der systemimmanenten Benachteiligung ist geblieben – von Beverly Hills bis Bregenz.

Das Rad der Gleichberechtigung bewegt stotternd. Zwei Zahlen dazu: In den 2010er Jahren waren überhaupt nur drei Frauen (von insgesamt fünf seit 1944) für einen Golden Globe in der Königsklasse Beste Regie nominiert. Geehrt wurde damit erst eine, nämlich Barbra Streisand 1974 für „Yentl“. Bei den Oscars fällt die Bilanz im letzten Jahrzehnt nicht erfreulicher aus: Seit 2010 waren mit Greta Gerwig (2018) und Kathryn Bigelow („2010) nur zwei Filmemacherinnen nominiert. Bigelow sicherte sich 2010 einen Goldbuben – als allererste (!) Regisseurin seit 1929.

2020 wird sich das Gleichgewicht in Hollywood in noch nie da gewesner Weise verschieben. Denn: Gal Gadot kehrt als „Wonder Woman“ zurück, mit einem Sequel aus dem Jahr 1984 und der Trailer verspricht einen aufregenden Blockbuster. Das ist nicht die einzige Superheldin, die das Neue Jahr auf der Leinwand kämpft. Fünf der größten Titel, die heuer die Leinwand erobern, darunter alle vier großen Superheldenstreifen, werden von Frauen inszeniert (siehe Info). Darunter „Birds of Prey“ von Cathy Yan mit der durchgeknallten DC-Heldin Harley Quinn, die Disney-Realverfilmung „Mulan“ von Niki Caro, Scarlett Johanssons Solo als „Black Widow“ unter der Regie von Cate Shortland und das Marvel-Abenteuer „Eternals“ von Chloé Zhao. Mehr noch: Geht doch!

Geld regiert auch Hollywood. Und diese Filme in ihrer geballten Kraft könnten laut Berechnungen nicht nur vier Milliarden US-Dollar einspielen, sondern auch die verkalkten Strukturen auflösen: mehr Frauen in allen männlich dominierten Bereichen zulassen. Und Regisseurinnen, die sich am Indie-Filmmarkt längst etabliert haben, auch in aller Selbstverständlichkeit den Weg zu Blockbustern – also den bestens gefüllten Geldtrögen – ebnen.

Außerdem wird das Jahr 2020 auch in die Geschichtsbücher eingehen, weil mit „No Time to Die“ („Keine Zeit zu sterben“) ein neuer, der 25., 007-Agententhriller startet. Und „Moneypenny“-Darstellerin Naomie Harris verlautbare, dass sie sich ein Sequel für ihre Figur wünsche. Mehr noch: James Bond bekommt mit Lashana Lynch weibliche Verstärkung. Die Tage des alten Bond sind also gezählt. Keine Fiktion.

#11 Satoshi Nakamoto

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Von Roman Vilgut

Eine Kursrally mit Ansage

Satoshi Nakamoto, der Erfinder der Bitcoin, bleibt ein Phantom. Seine klaren Vorgaben könnten den Markt für Kryptowährungen wieder kräftig durchrütteln.

Menschen, die eine technologische Revolution vom Zaun brechen, sind üblicherweise nicht öffentlichkeitsscheu. Doch Satoshi Nakamoto, der Erfinder von Bitcoin und Blockchain, bleibt ein großer Unbekannter. Der Australier Craig Wright behauptet zwar, hinter dem Pseudonym zu stecken, in der Bitcoin-Community wird ihm allerdings nicht geglaubt. Vielmehr wird in der Szene vermutet, dass mehrere Personen hinter dem Namen Satoshi Nakamoto stecken. Mit Bitcoin entwarfen sie ein System, das eine Antithese zu den staatlichen Zentralbanken darstellen sollte. Überweisungen sollten transparent und sicher sein, die Infrastruktur dezentral und die Entwickler auf die ganze Welt verteilt. Niemand hat die alleinige Kontrolle über das System, der Code wird in der Gemeinschaft weiterentwickelt. Eine Kernforderung: Im Gegensatz zu Euro oder Dollar kann man nicht einfach unendlich neue Bitcoin „drucken“, die maximale Anzahl an Bitcoin ist mit 21 Millionen Stück begrenzt. Gestartet ist das System am 3. Jänner 2009 mit 50 Stück. Heute sind es über 18 Millionen Bitcoin. Diese Steigerung kommt zustande, weil theoretisch jeder, der den Bitcoin-Code auf seinem Rechner laufen lässt, die Chance hat neue Bitcoins zu „minen“.

Die Erfinder der Bitcoins setzten nämlich bei der Absicherung der damals neuen digitalen Währung auf ein neuartiges System: Eine kryptografisch abgesicherte Blockchain. Überweisungen werden in Blöcken zusammengefasst. Anfangs hatte so ein Block einen Megabyte, heute sind es bis zu vier. Ist so ein Block voll, wird er mit einem kryptografischen Rätsel verschlüsselt und mit dem nachfolgenden Block verknüpft. Es entsteht eine Kette aus Blöcken, geschützt durch Verschlüsselung. Diese Blockchain ist bis heute die Basis jeder Kryptowährung. Die Technologie hat sogar – losgelöst von irgendwelchen Coins – in der Industrie fußgefasst, von der Dokumentation von Lieferketten über die Vergabe von Staatsanleihen bis zur automatischen Abrechnung von Stromlieferungen aus Photovoltaik-Anlagen.

Zurück zur Bitcoin: Das Lösen dieses Kryptografie-Rätsels benötigt einiges an Rechenleistung, braucht viel Strom und das kostet. Als Ausgleich bekommen jener Miner, der das Rätsel als erster löst, einen Reward, eine Belohnung in Form neuer Bitcoins. Da ja die Gesamtzahl der Bitcoin begrenzt ist, muss diese Belohnung reguliert werden. Und so wird sie alle 210.000 Blöcke halbiert, das sogenannte Halving. Das ist bereits zwei Mal geschehen. Bis November 2012 betrug der Reward 50 Bitcoin, bis Juli 2016 waren es 25 und seitdem sind es 12,5 Bitcoin. Anfang Mai 2020 wird das dritte Halving erwartet. Und wenn es nur annähernd ähnlich verläuft wie die vergangenen beiden Male, dürfte sich am Kryptomarkt einiges bewegen. Nach dem ersten Event verzwanzigfachte sich der Kurs binnen fünf Monaten. Nur ein Jahr nach dem Halving wurde die 1000-US-Dollar-Marke durchbrochen, ein Plus von 7000 Prozent binnen eines Jahres. Bis 2016 pendelte der Kurs dann zwischen 200 und 600 US-Dollar. Am 9. Juli 2016 wurde die Belohnung erneut halbiert und sechs Monate darauf begann eine bisher unvergleichliche Preisrallye. Zwischen Dezember 2016 und Dezember 2017 stieg der Bitcoin-Kurs von rund 770 auf mehr als 19.600 US-Dollar, ein Plus von 2500 Prozent.

Kommt es ab Mai 2020 nun zu einer weiteren Rallye? Sicher ist das nicht. Denn die Voraussetzungen haben sich deutlich geändert. Bis 2016 galten Kryptowährung als etwas für Computer-Freaks, die sich als Rebellen des Finanzsystems inszenierten. Auch Kriminelle schätzten die schnellen Transaktionen. Noch heute bildet Bitcoin die Basis des Internet-Schwarzmarkts. Damals nahmen Finanzwelt, Aufsichtsbehörden oder Notenbanken kaum Notiz von dieser neuen Internet-Währung. Seit der Kryptoblase von 2017 ist das anders. Der Handel mit Kryptowährungen ist deutlich strenger reguliert. Außerdem entstanden in den vergangenen Jahren tausende von neuen Kryptowährungen. Andererseits sind nun auch große Investoren im Kryptomarkt aktiv und es gibt neue Handelsinstrumente wie Futures, Optionen und Derivate.

Fest steht: Der Handel mit Bitcoin und Co bleibt extrem riskant. Denn so wie es bisher nach jeder Halbierung der Mining-Belohnung steil nach oben ging, so ist dem Höhenflug auch jedes Mal ein drastischer Kurssturz gefolgt.

#12 Ludwig Beethoven

Download von www.picturedesk.com am 13.12.2019 (13:49). 
Ludwig van Beethoven (1770-1827). ÖlLw.  (1819). - 20091113_PD1460

Von Martin Gasser

Götterfunken gegen den Kult ums Gestern

2020 ist Beethoven-Jahr. Höhepunkt eines Gedenkkults, der bei näherer Betrachtung der Kunst Beethovens völlig zuwiderläuft.

Bis zum 250. Geburtstag Beethovens ist es noch fast ein Jahr. Das Datum ist nicht bekannt, aber man weiß, dass der kleine Ludwig am 17. Dezember 1770 in Bonn getauft worden ist. Dass er der größte Klassiker werden würde, ein schon zu Lebzeiten aufs Podest gehobenes Genie, war da natürlich noch nicht absehbar. Nach 1790, im kulturellen Klima Wiens, ging die Saat auf. Inspiriert von der Zeitenwende, von Revolution und Aufklärung schuf Beethoven ein Werk, das den Menschen ins Zentrum rückt und beispiellos radikal die Notwendigkeit einer besseren Welt behauptet.

Nach seinem Tod wurde der Komponist als Geistesgröße neben Goethe und Schiller zum Zentrum eines Kanons, der im deutschsprachigen Raum wesentlich zur Herausbildung kultureller Identität wurde. Von der „Verkörperung der deutschen Seele“ bis zu der grausigen Inbesitznahme Beethovens durch die Nazis war es von dort nur mehr ein Katzensprung.

Beethoven verwandelte sich allmählich zum Titanen aus Marmor, ein der Menschheit entrückter Gottbegnadeter, ein Ewiger. Dabei ist seine Kunst völlig anders. Selten schaut er darin zurück, denn meistens geht es bei Beethoven um nichts weniger als:  die Zukunft.

Kaum eine Kompositionstechnik ist so prozesshaft, so auf stetige Entwicklung bedacht wie jene Beethovens. Ein musikologischer Umstand, der seine Überzeugungen spiegelt. Kunst ist bei ihm etwas Hochmoralisches, was tief ins Leben hineingreifen soll, was kämpferisch in die Zukunft drängt, was die überkommenen Machtverhältnisse untergräbt. Er war der größte Beweger der Musikgeschichte überhaupt.

So passt seine Musik weder zur posthumen Heiligsprechung oder ideologischen Vereinnahmung seiner Person, noch zum Gedenkkult unserer Tage. In einer Gegenwart, die sich kulturell immer stärker zurück orientiert, in der Revivals und Retrowellen dominieren, ist die Aufmerksamkeit auf Jahrestage und Jubiläen stetig gewachsen. Während die Zukunft unberechenbarer und unklarer wird, haben wir vielleicht noch nie zuvor den Blick so auf die Vergangenheit fixiert. Um ein oft festgestelltes Paradox zu wiederholen: Die 50-er-Jahre fühlen sich heute näher an als in den 80-ern. Der englische Kulturwissenschaftler Mark Fisher orakelte über die Gründe des Phänomens: „Könnte die vom neoliberalen Kapitalismus vorangetriebene Zerstörung von Solidarität und Sicherheit nicht im Gegenzug die Sehnsucht nach Gängigem und Vertrauten gefördert haben?“

Auch 2020 werden die Todes- und Geburtstage wieder Museen, Konzerthäuser, Fernsehprogramme, Zeitungen und das Internet füllen, es wird gedacht werden, häufig, ohne sich viel zu denken. Immerhin ist 2020 unter anderem ein Raffael-Jahr, ein Dickens-Jahr, ein Salzburger-Festspiel-Jahr, ein Hegel-Jahr, ein Engels-Jahr, ein Loos-Jahr und als absolute Krönung ein Beethoven-Jahr. Bei Letzterem sind Bonn und Wien federführend, wo sich eine schier unüberschaubare Menge von Veranstaltungen Beethoven und seine Musik zum Thema haben.

Dabei ist gerade das Beispiel dieses Menschen und seine Kunst ein Gegengift gegen den Kult mit dem Vergangenen, gegen einen Kulturbetrieb, der sukzessive zu bequem wird, um sich noch jenseits des Wohlig-Vertrauten zu bewegen. Wer seine Vergangenheit vergisst, ist verloren. Aber wer nur mehr auf seine Vergangenheit schaut, wird blind für die Zukunft. Beethoven hat stets nach vorn geschaut. Seine Musik könnte uns zur Nachahmung inspirieren.