Der Marathon seines Lebens
Auf Markus Duesmann blickt die Autobranche 2020. Er soll aks künftiger Audi-Chef die Marke neu erfinden. Kann das funktionieren?
Der designierte Audi-Chef Markus Duesmann wird die Kondition, die er sich als Läufer aufgebaut hat, in den nächsten Jahren sehr gut brauchen können. Auf ihn wartet mit Dienstbeginn am 1. April 2020 ein Business-Ultramarathon: Die Ingolstädter Edelmarke wieder auf Kurs zu bringen ist derzeit die schwierigste, aber auch verlockendste Aufgabe der Branche. Wenn es sogar die Edelmarke Audi in den Strudel einer Krise reißen kann, ist das ein deutliches Zeichen. Weil Audi für die ungewisse Zukunft einer ganzen Industrie steht, die sich neu erfinden muss.
Wie schon vor über 30 Jahren. Damals begann der legendäre Ferdinand Piëch das biedere Image von Audi zu entrümpeln, er erkor den Slogan „Vorsprung durch Technik“ zu einem inhaltlichen, realen Credo. Unter Martin Winterkorn wuchs Audi weiter zum Paradebeispiel für den Wandel einer Marke. Außerdem wurde man zum wichtigsten Ertragsbringer des Volkswagen-Konzerns. Und Audi schickte sich doch tatsächlich an Mercedes und BMW zu überholen. Doch nicht zuletzt der Dieselskandal holte die Ingolstädter zuletzt brutal von der Überholspur, auch die Leidenschaft, die Begehrlichkeit bei den Kunden ließ nach, wie man an den weltweiten Verkaufszahlen ablesen konnte.
Für einen Sanierungsfall ist man zwar nach wie vor zu erfolgreich und verdient Geld mit exzellenten Autos – doch es ist nicht abwegig den Eingriff von Konzernchef Herbert Diess als veritable Notbremsung einzuschätzen: Er setzte seinen ehemaligen BMW-Kollegen Duesmann (50) an die Spitze, mit Hildegard Wortmann und Sabine Maaßen kommen erstmals zwei Frauen in den Audi-Vorstand. Das Risiko den Vorstand für den Neustart komplett auszuwechseln, hat man im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung bewusst in Kauf genommen. Die Audi-Wurzeln könnten einigen fehlen, was Veränderungsprozesse verlängern kann.
Audi und der Betriebsrat einigten sich außerdem auf einen sogenannten Zukunftspakt für das unter Druck stehende Unternehmen. 9500 Stellen sollen abgebaut werden. Das Unternehmen erhofft sich von den Maßnahmen Einsparungen von insgesamt sechs Milliarden Euro bis 2029. Auf der anderen Seite sollen 2000 Jobs im digitalen Bereich entstehen.
Duesmann ist in diesem Audi-Projekt, auf das die ganze Branche schaut, mehr als ein Lippenbekenntnis, einen neuen Weg bei den Ingolstädtern einzuschlagen. Der passionierte Motorradfahrer gilt als Spezialist in Sachen Antriebsstrang, Fahrdynamik, Fahrassistenzsysteme. Themenfelder, die Audi weiter und noch stärker besetzen will.
Er war unter anderen für Daimler tätig, hat eine starke Affinität zum Motorsport, arbeitet auch für das BMW-F1-Projekt, verantwortete danach diverse Entwicklungsbereiche, ehe er zum Einkaufsvorstand von BMW berufen wurde. Besonders wichtig, aber: Er kam nie mit den Dieselskandal in Berührung und sein BMW-Kurs weit weg von den Beschaffungs-Untiefen der E-Mobilität galt als vorbildhaft. Zum Beispiel übernahm BMW die Kobalt-Beschaffung selbst, schaltete so Zwischenhändler, die aus dubiosen Quellen Rohstoffe beziehen (Kinderarbeit etc.), aus.
Duesmann, der Maschinenbauer aus Westfalen, besitzt noch dazu exzellenten Ruf als Allrounder. Auch diese Eigenschaft gilt als essentiell für den Audi-Job: Elektrifizierung, Digitalisierung, Vernetzung, Over-the-Air-Updates (wie bei einem Computer oder dem Handy), neue Geschäftsmodelle – Audi wird in einen disruptiven Wandelprozess getrieben, wie alle klassischen Autohersteller. Und in anderen Bereichen, wie dem autonomen Fahren, läuft man Gefahr, von der Konkurrenz eingeholt zu werden. Der A8 zum Beispiel kann heute mehr als gesetzlich erlaubt ist, die Funktionen sind deshalb nicht frei geschaltet.
Dazu kommt, dass im VW-Konzern die technische Pionier-Rolle von Audi nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird. Das soll sich ändern: „Markus Duesmann wird alles daransetzen, die großen Potenziale der Marke Audi zu heben“, sagt etwa Herbert Diess. Die von Diess und dem Volkswagen-Konzern vorgegebene Elektroauto-Strategie birgt aber Chancen wie Risiken, bis 2025 soll die Marke mit den vier Ringen ein Drittel des Portfolios elektrisch betreiben. Man wird außerdem enger mit Porsche zusammenarbeiten.
Eine der wichtigsten Aufgaben für Duesmann wird es aber sein, Ruhe in die Audi-Welt zu bringen. Audi ist seit der Aufdeckung des Dieselskandals im September 2015 immer wieder in den Schlagzeilen, mit jedem Verfahren (etwa gegen Ex-Vorstandschef Stadler) werden die alten Wunden wieder aufbrechen. Dazu hatte das Unternehmen eine hohe Fluktation. Sechs Entwicklungschefs verschliss Audi alleine in den vergangenen sieben Jahren, Duesmann wird ebenso als Moderator gefragt sein.
Aber Duesmann weiß auch, dass dieser Marathon ihn weiter bringen kann als jeder andere Job – wenn er es bis ins Ziel schafft und Audi dorthin gebracht hat, wo man noch vor einigen Jahren unterwegs war.