Rumena Buzarovska_freisteller

Von Rumena Bužarovska

Lebt als Autorin in Skopje, Nordmazedonien.

M

ein Vater hat dieses Bild, wie ich seilhüpfe, 1987 aufgenommen. Ich bin sechs Jahre alt, es ist Sommer, unsere Freunde sind aus den USA auf Besuch gekommen. Das olivgrüne Mini-Auto hinter mir ist unser Fiat, unser Fico, wie er bei uns genannt wurde. Er parkt direkt vor unserem im Sowjetstil erbauten Haus, in unserem Fall eine „Harmonika“: ein niedriger, erdbebensicherer Beton-Wohnblock, errichtet im Zug des Wiederaufbauplans für Skopje nach dem verheerenden Erdbeben von 1963. Die Straße heißt Volgogradska, Wolgograd-Straße. Wie andere trägt sie ihren Namen aus Dankbarkeit den Städten und Ländern gegenüber, die nach dem Erdbeben ihre Solidarität erwiesen haben. Budapest-Straße, Ankara-Straße, Mexiko-Straße, Helsinki-Straße, Moskau-Straße, Damaskus-Straße … das sind die Straßen in meinem Viertel.

Diese Viertel sind grün, belaubt, auf humane Weise einfühlsam gegenüber ihren Bewohnern. Zwischen den kleinen Gebäuden und Einfamilienhäusern gibt es reichlich kleine Parks. Die Kinder treiben sich in Gruppen herum, nach Lust und Laune. Jäh beginnen Ensembles von weißen Wolkenkratzern dort emporzuschießen, wo früher ausgedehnte Wiesen und Sümpfe lagen – wir lieben diese neuen Gebäude und nennen sie „Schönheiten“. Eine dieser Schönheiten lugt auf dem Bild hinter mir hervor, über den Kronen der Lindenbäume.

Ich trage die zeitlosen Latschen mit Schlümpfen drauf, wie sie jedes zweite Mädchen hatte. Und erinnere mich, dass ich besonders stolz auf mein Kleid war – Mode war kein Thema in Jugoslawien. Werden die Frauen einmal ein wenig älter und Großmütter, ziehen sie sich an wie die Damen hinter mir. Bequeme Lederslipper, Baumwollkleider oder schmale Röcke und schlichte Blusen. Dies sind die Großmütter und Mütter der Nation, die Hüterinnen des Hauses. Jeden Morgen um sechs Uhr wecken sie uns mit dem Geruch von „Zaprka“, der mit Zwiebeln und Gewürzen gemischten Einbrenn, die sie auf dem Sommerbalkon anschwitzen lassen; die kommt dann in die „Manda“, das Schmorgericht, das die Familie um drei Uhr isst, nachdem die Erwachsenen von der Arbeit heimgekehrt sind. Die Mütter und Großmütter stehen früh auf, kochen das Mittagessen, gehen zur Arbeit, kommen nachhause, essen. Während die anderen Siesta halten, kochen und putzen sie, dann erledigen sie mit den Kindern die Hausaufgaben. Die Männer sitzen draußen auf den Bänken, trinken Rakija oder Bier. Manchmal tun sie so, als würden sie an ihren alten Autos herumschrauben, ihren „Dianas“ (2CVs, Spacek genannt), Yugos, Zastavas 101 und Ficos. Wir alle erleben lange, verschwitzte, beengte Fahrten zu unseren Urlaubszielen. Aber wir lassen uns Zeit, denn unsere Ferien dauern mindestens einen Monat.

Ich wurde 1981 geboren, das ist also das Jugoslawien, das ich kenne. Es ist das Jugoslawien meiner Kindheit. Wie alle, die ihre Jugend und unbeschwerte Tage vermissen, verwechsle ich diese Nostalgie manchmal mit der Sehnsucht nach einem Land, das nicht mehr existiert. Aber ich weiß, dass das nicht stimmt, so wie ich weiß, dass nicht alle eine liebevolle, heitere und von Glück gesegnete Kindheit hatten.

Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
Fotos: KK, Rumena Bužarovska.

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