Ivana Sajko

Von Ivana Sajko

Autorin und Regisseurin aus Kroatien, 45, lebt in Berlin.

S

ie wurden von den Einheimischen „golaći“– „die Nackerten – genannt, und sie tauchten nur im Sommer auf. Das ist meine früheste Erinnerung an das Phänomen des Naturismus im ehemaligen Jugoslawien. Ich erinnere mich deutlich daran, wie meine Mutter einen weiten Bogen um die verblassten Schilder vor den Stränden und um jene Felsen machte, auf die die Buchstaben FKK gepinselt waren, wobei sie wachsam verfolgte, wohin die blinzelnden neugierigen Augen meines Vaters wanderten. Selbstverständlich waren wir nicht die einzige Familie, die sich aufgrund der überall an der Adriatischen Küste anzutreffenden Nackerten mit ihrer eigenen katholischen Weltanschauung konfrontiert sah, obwohl wir paradoxerweise in einem sozialistischen Staat lebten, in dem man der Kirche kaum Beachtung schenkte.

Den Naturismus hatte ein gewisser Rudolf Halbag aus München nach Jugoslawien gebracht, der im Jahr 1961 auch das erste naturistische Camp Konversada gründete. In den nächsten Jahrzehnten entwickelte sich Konversada zum populärsten Zentrum der Freikörperkultur in Jugoslawien. Dort fand im Jahr 1972 auch der Kongress der Internationalen naturistischen Konvention statt, und Ende der Achtzigerjahre erreichte die Zahl der nackten Touristen in der Saison die Millionengrenze. Deutsche und italienische Gäste waren in der Mehrheit, da es an den italienischen Stränden nicht einmal möglich war, oben ohne zu baden, während man auf der anderen Seite der Adria, im Land des kommunistischen Einparteiensystems, Minigolf auch unten ohne spielen konnte. Die FKK-Camps waren umzäunt und sorgfältig von neugierigen Blicken abgeschirmt, aber die wirkungsvollste Garantie für Diskretion bestand in der bloßen Tatsache, dass man die Camps nur nackt betreten durfte. Jeder falsche Naturalist wäre sofort entdeckt worden, da eine Badehose oder ein Badeanzug weiße Haut als verräterische Spur hinterlässt. Die Privatheit der Camps wurde zusätzlich durch spezielle Regeln bewahrt, etwa die Regel, nach der Männer nur in Begleitung einer Partnerin kommen konnten, nicht aber allein. Die Nackerten genossen ihr sozialistisches Paradies.

Doch obwohl Jugoslawien mit diesen liberalen Ansichten den Bedürfnissen der modernen touristischen Angebote entsprach, und obwohl die Naturschönheit der Küste tatsächlich ein Paradies darstellte, verursachte die Nähe dieser Camps doch ab und zu Reibungen mit den traditionellen Auffassungen der lokalen Bevölkerung. Die Hommage an dieses Problem war der Film „Lepota poroka“ (“Die Schönheit des Lasters“) des Regisseurs Živko Nikolić; dieser Film erreichte in Jugoslawien Kultstatus. Gedreht im goldenen Zeitalter des FKK-Tourismus, folgt die Filmgeschichte einem jungen Ehepaar, das auf der Suche nach Arbeit aus einem unentwickelten Karstgebiet Montenegros an die Küste kommt. Der Mann wird Arbeiter in einer Saline und die Frau wird als Zimmermädchen in einem FKK-Camp eingestellt. Der Einblick in ein anderes Verhältnis zum eigenen Körper, zur Sensualität und zur Gleichberechtigung der Geschlechter erschüttert nachhaltig ihre enggefasste Vision des eigenen Frauenschicksals in einer patriarchalischen Gesellschaft. Natürlich bleibt die Zerschlagung der Fesseln des Konservativismus nicht folgenlos.

Obwohl damals in Jugoslawien die FKK-Camps als Symbole des dekadenten und freizügigen Westens wahrgenommen wurden, wirken die Nackerten aus heutiger Perspektive wie bescheidene und rücksichtsvolle Gäste, die nur ihre Ruhe suchten und die sich für die Natur begeisterten, ganz anders als die Touristen, die die destruktive Maschine des Massentourismus inzwischen fabriziert hat.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Fotos: Imago, KK.

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